Süddeutsche Zeitung

China:Ein Land zwischen Kritik und Bewunderung

Lesezeit: 3 min

Viele Chinesen interessieren sich mehr für Europa als umgekehrt. Sind wir zu arrogant, um das Missverhältnis zu korrigieren, unterschätzen gar die Asiaten immer noch? Leser haben eine kritische Haltung. China sei in vielem kein Vorbild.

Zu "Schaut auf dieses Land" vom 6./7. Juli:

Zweifel als Wettbewerbsvorteil

Lea Deuber gebührt Dank dafür, uns Einblicke in die sich rasant verändernden Verhältnisse in China zu geben. Aber ist es wirklich eine Schande, nicht ganz so weit vorne in der Rangliste der Weltzerstörer zu stehen wie China? Das offenbar acht neue Flughäfen jedes Jahr eröffnet, in Sachen Digitalisierung ganz vorne liegt und dessen Bürger immer mehr in die weite Welt ausschwärmen, während Deutsche das ferne Land als Urlaubsziel eher meiden, was dem Klimaschutz nur guttun kann.

Den Klimawandel spricht die Autorin ja später auch noch an. Dass auch das Internet hierzu massiv beiträgt, sollte vielleicht auch erwähnt sein. Die Digitalisierung scheint gegenwärtig wie ein Ungeheuer alles widerstandslos einzuverleiben, im Übrigen auch bei uns! Arztpraxen werden zwangsdigitalisiert, sensible Gesundheitsdaten dadurch gefährdet, Kinder nun zunehmend mit Tablet und Smartphone gebildet, nicht-technikaffine Ältere und Kranke allerdings zunehmend abgehängt.

Vielleicht liegt unser Wettbewerbsvorteil gerade in der Nachdenklichkeit, im Zweifel, und auch in Genügsamkeit. Weniger wäre eigentlich mehr. Der ruinöse globale Wettbewerb jedoch, geht er ungebremst weiter, wird die Welt zerstören. Eine Diktatur hat hier zweifelsohne "Vorteile", und kann sich über lästige Bürgereinwendungen hinwegsetzen. Auf das Land schaue ich daher gerne, ein Vorbild ist es nicht.

Dr. Andreas Meißner, München

Wanderarbeiter sehen es anders

Es wäre schön gewesen, wenn Frau Deuber bei aller Begeisterung für China auch einige der 100 Millionen Wanderarbeiter befragt hätte, die unter glücklichen Umständen einmal im Jahr zum Neujahrsfest nach Haus zu ihrer Familie dürfen und die restlichen 364 Tage unter unwürdigsten rechtlosen Bedingungen schuften. Auch hätte ich gern die Meinung der Anwohner gehört, wenn Suppenläden, Straßen und zwangsläufig auch Häuser und Wohnungen in kürzester Zeit verschwinden. Das spielt aber keine Rolle in einem Land, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden und harmloser Protest im Gefängnis oder Arbeitslager endet.

Wenn in der Klimadebatte in China häufig Unverständnis dafür besteht, sich um einen geringen CO₂-Ausstoß zu bemühen, liegt es vielleicht auch daran, dass die zensierten staatlichen Medien die Bevölkerung nicht über die dramatische Klimaentwicklung informieren. Das alles scheint Frau Deuber aber nicht zu stören, weil es der globalen Wirtschaft, wie sie sagt, auch egal ist.

Werner Jünemann, Göttingen

Runter vom Gas

Ich finde, bevor man sich Sorgen macht, den Anschluss zu verlieren, sollte man erst schauen, ob der Zug in die richtige Richtung fährt. "Acht neue Flughäfen im Jahr, eine Million neue Straßenkilometer, in wenigen Wochen ganze Stadtviertel umkrempeln ...", etc. Das, sowie den Ehrgeiz der jungen asiatischen Generation, in der brutalen Konkurrenz der/die Beste zu sein, bewundert die Autorin.

Das soll ein erstrebenswerter Lebensinhalt sein? Für die damit verbundene Rücksichtslosigkeit gegen die Folgen eines solchen Tuns hat sie Verständnis und spricht denjenigen, die das kritisieren, die Berechtigung dazu ab ("Satte" Europäer, die mit dem "Kauf von Bioprodukten ohnehin nur ihr Gewissen beruhigen"). Woher nimmt sie diese Sicherheit? Und wenn es so wäre - der Natur ist es egal, ob sie von einem "Gewissensberuhiger" oder einem Überzeugungstäter geschont wird.

Ich finde, die ganze Welt sollte mal ordentlich runter vom Gas, statt diejenigen zu bewundern, die dieselben Fehler, die in den kapitalistischen Ländern früher gemacht wurden - und leider immer noch gemacht werden - noch mal wiederholen.

Roland Brunner, Regensburg

Sind Chinas Ziele erstrebenswert?

Die Autorin zeichnet zum einen das Bild eines Landes, in dem Infrastrukturprojekte schnell und reibungslos umgesetzt werden - angeblich anders als in Deutschland. Auch ich muss regelmäßig den Nord-Ostsee-Kanal überwinden und ärgere mich über Funklöcher und gesperrte Brücken. Aber: Ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem Bauvorhaben zunächst geprüft werden und staatliche Entscheidungen anfechtbar sind, bevor sie umgesetzt werden.

Der Rechtsstaat mag manchmal träge sein, aber im Ergebnis unterstützt er Investitionen, weil er sie auf sichere Beine stellt. Und alle, die in Deutschland leben, behalten ihre grundlegenden Rechte. Auch touristisch erscheint mir ein Land, in dem das Handy bei der Einreise vom Staat ausgelesen wird, nicht besonders attraktiv.

Lea Deubers zweites Bild ist das saturierter deutscher Jugendlicher, die sich mehr für vegane Tomatensuppe interessieren als für wirtschaftlichen Wandel. Aber: Ist ein Wandel wie ihn Deuber beschreibt, überhaupt erstrebenswert? Sie spricht von "Wettlauf" und "Vorsprung". Zum Ziel des Rennens und zu der Frage, wie erstrebenswert ein mögliches Ziel ist, sagt sie nichts.

Hippe chinesische Stadtkinder interessieren sich im Übrigen ebenso für Konsum und Flugreisen, sonst würden sie nicht bemängeln, dass das Abfertigungsgebäude in Tegel zu klein ist. "Technikaffin und top gestylt", lautet die Bildzeile. Konsum, der zu Lasten der armen Landbevölkerung und der Natur geht. Europäische Jugendliche, die sich bei "Fridays for Future" vernetzen, scheinen mir da eher die Zeichen der Zeit erkannt zu haben.

Ingo Socha, Lübeck

Fehler des Westens wiederholen

Jawohl, genau so werden die Probleme der Menschheit gelöst: Acht neue Flughäfen eröffnen, alle leisten sich ein Auto, jetten für den Urlaub nach Thailand, besitzen selbstverständlich das neuste iPhone, etc. Es lässt sich offenbar immer eine Sowjetunion finden, von der man das Siegen lernen kann, und Betonköpfigkeit ist keine Frage des Alters.

Im Ernst: Wären die Chinesen klüger als der kapitalistische Westen, würden sie aus dessen Dummheiten doch lernen und es unterlassen, alles machbar erscheinende auch in die Tat umzusetzen.

Michael Schorcht, Leipzig

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Quelle:
SZ vom 16.07.2019
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