Süddeutsche Zeitung

Beruf und Familie:Patriarchale "Gewissheiten"

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Es gibt immer wieder neue Studien zur Vereinbarkeit von Kind und Karriere - und die meisten sagen das Gleiche, wie dieser Brief einer Leserin beweist. Sie fragt sich nun, warum die Politik trotzdem nicht handelt.

"Kind oder Karriere" vom 1. Dezember:

Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird seit Langem geforscht, auch und gerade in Deutschland; der Zusammenhang von Bildung(sstand von Frauen) und Geburtenrate ist bekannt, und zwar seit Langem; und ebenso gibt es bereits seit Langem evidente empirische Befunde dazu.

So bearbeitete die Längsschnittstudie "Optionen der Lebensgestaltung junger Ehen und Kinderwunsch" (Optio) bereits in den Jahren 1988 bis 1995 diese Fragestellungen, wie sie nun von Kamhöfer & Westphal beforscht wurden. Schon damals beschränkten sich unsere Empfehlungen (ich hatte das Vergnügen, dem Forscherteam anzugehören) nicht auf rein monetäre Anreize und nicht auf Maßnahmen, die nur junge Mütter unterstützen (sollen), sondern wir forderten insbesondere den Ausbau von Kinderbetreuung und mahnten bereits damals ein Umdenken in Gesellschaft und bei Betrieben an - sowohl in Bezug auf Mütter als auch Väter, die Beruf und Familie vereinbaren wollen.

Was hier geboten wird, ist also, wissenschaftlich gesehen, ein "alter Hut", abgesehen von der äußerst fragwürdigen Konzeption der RWI-Studie, die die Vereinbarkeitsthematik einseitig und realitätsfern, ja realitätsignorant, als reine Frauenfrage behandelt. Es stellen sich ganz andere Fragen, nämlich: Wie kommt es, dass seit Jahrzehnten vorhandenes, empirisch gesichertes Wissen über lange Zeiten nicht genutzt wird und Handlungsempfehlungen nicht umgesetzt werden? Wozu stellen Bundesministerien hohe Fördersummen bereit (zum Beispiel für Optio), wenn die Öffentlichkeit die Ergebnisse schlicht ignoriert?

Es mangelt - und zwar seit Jahrzehnten - am politischen Willen, die Vorgaben des Grundgesetzes endlich umzusetzen, und es scheitert am Beharrungsvermögen der Arbeitswelt.

Letztendlich speisen sich bestehende (Miss-)Verhältnisse und aufgeführte Mängel aus patriarchalen "Gewissheiten", welche sowohl Politik als auch Arbeitswelt nach wie vor und ungebrochen prägen und die sich fortlaufend und ungebrochen weiter reproduzieren, sodass "wir" uns nicht zu wundern brauchen darüber, dass "wir" im vergangenen Vierteljahrhundert (seit Beginn von Optio, 1988) in Sachen Gleichstellung sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht weitergekommen sind.

Petra R. Gotzler, München

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Quelle:
SZ vom 19.12.2017
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