Süddeutsche Zeitung

Zeitdruck im Bachelor-Studium:Generation der Lebenslauf-Optimierer

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Der Tempowahn im deutschen Bildungssystem macht Studenten zu akademischen Pauschaltouristen. Sie kommen zwar mit 21 von der Uni - aber von der Welt gesehen haben sie noch nichts. Wie Getriebene haken sie nur noch ab, was die Personalabteilungen der Unternehmen von ihnen erwarten.

Tanjev Schultz

Reisen bildet nur bedingt. Wochenlanges Sonnen am Strand mag erholsam sein, andere Länder lernt man dabei aber nur oberflächlich kennen. Umso wichtiger ist es, dass Schüler und Studenten längere Zeit im Ausland verbringen können und dort auch den Alltag, die Kultur und die Menschen besser kennenlernen. Doch der Tempo-Wahn an deutschen Schulen und Universitäten hemmt leider die Lust auf lange Bildungsreisen.

Wer auf dem Weg zum Turbo-Abitur ein Auslandsjahr einschiebt, muss in der Regel an seiner deutschen Schule ein Jahr wiederholen. Früher konnten die Schüler dagegen zu ihren alten Klassenkameraden zurückkehren. Und wer heute im eng getakteten Bachelor-Kurzstudium ein oder zwei Semester an eine andere Hochschule wechselt, kommt daheim mit seinen Studienplänen ins Schleudern. Angeblich sollte der Weg in andere Länder einfacher werden, so hatten die Politiker und Wissenschaftsfunktionäre ihre Reformen verkauft. Es ist anders gekommen.

In Bachelor-Studiengängen, die auf sechs Semester angelegt sind, ist ein Auslandsjahr kaum zu schaffen. Erst beim anschließenden Master-Studium wächst die Zahl der Studenten, die Erfahrungen in der Ferne sammeln. Doch nach dem Willen der Politik soll für die meisten schon der Bachelor als "Regelabschluss" reichen; der Master wäre ein Luxus für wenige. Als Ergebnis erhielte die Gesellschaft Scharen junger Akademiker, die zwar mit 21 Jahren schon von der Uni kommen, aber wenig von der Welt gesehen haben.

In den neunziger Jahren begann ein bildungspolitischer Feldzug gegen "Bummelstudenten" und überalterte Absolventen. Für die Gesellschaft ist es tatsächlich nicht angenehm, wenn ihre Bürger erst mit Mitte 30 einen Beruf ergreifen und dann womöglich mit 60 schon wieder in Rente gehen. Mittlerweile bedroht der Kampf gegen die Bummelei aber den Sinn und die Form von Bildungsprozessen, die Raum benötigen für Um- und Irrwege. Schule und Hochschule werden zum Marktplatz der "Lebenslauf-Optimierer".

Wer es dabei, gegen alle Widrigkeiten, ins Ausland schafft, hakt nur noch ab, was die Personalabteilungen der Unternehmen von ihren Kandidaten alles erwarten. Die Zeit und die Freiheit, sich auf andere Länder und Bildungserlebnisse einzulassen, bleiben auf der Strecke. Statt zwei Semester gehen viele lieber nur ein Semester ins Ausland, und im Zweifel reicht ihnen auch ein Praktikum dort.

Politiker, Manager und Eltern schärfen den Jugendlichen gerne ein, dass sie bloß nicht den Anschluss verlieren dürften. So haben sie eine Generation von Getriebenen geschaffen, die unvereinbare Erwartungen erfüllen und möglichst wenig nach links und rechts schauen sollen. Der Bildungsweg folgt streng den vorgegebenen Bahnen. Immer mehr Eindrücke und Wissensschnipsel in immer kürzerer Zeit zu sammeln - das gelingt nur akademischen Pauschaltouristen.

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Quelle:
SZ vom 26.08.2011
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