Süddeutsche Zeitung

Schauplatz ICE:Im Ring mit Berufspendlern

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Mit geballter Faust in die Rippen: Wochenendfahrer müssen ein dickes Fell haben - besonders im ICE von Köln nach München.

Jutta Göricke

Montage könnten schöner anfangen. Zum Beispiel mit einem Becher Cappuccino im Büro, während man die ersten E-Mails öffnet. Stattdessen: Passivaggressives Gerangel auf dem ICE-Bahnsteig in Köln-Deutz, zumindest vor dem Waggon mit den Bahncomfort-Plätzen, also dort, wo man die Berufspendler und andere Geschäftsreisende trifft. Denn wie fast jeden Montag gibt es viel zu viele Passagiere, die mitfahren wollen. Der gewiefte Bahnreisende weiß das und macht notgedrungen mit beim Run auf die wenigen Sitzplätze. Niemand findet es schön, bis Frankfurt im Gang zu stehen.

Erstaunlicherweise führt diese Situation, von der man es erwarten würde, nicht zwangsweise zu flegelhaftem Verhalten. Im Gegenteil. In der Regel fügen sich alle, die keinen Platz gefunden haben, klaglos in ihr Los. Sie weichen ohne Murren aus, wenn der Schaffner sich bei Tempo 280 mit einem Tablett voller Kaffeetassen an ihnen vorbeiquetscht. Sie machen sich dünne, wenn andere Fahrgäste auf der, wie sie selbst ja schon wissen, vergeblichen Suche nach Sitzmöglichkeiten durch den vollgestopften Gang irren. Das ist also nicht das Problem.

Morgenmuffel hinter Laptops

Das Problem sind die Leute, die einen Sitzplatz haben. Letzten Montag etwa: Man erspäht den freien Mittelsitz in einem Abteil, tritt ein, grüßt und stößt auf Schweigen. Fünf Köpfe bleiben konzentriert hinter den aufgeklappten Laptops versenkt, die Augen starr auf den Bildschirm gerichtet. Na dann, ein "Guter Morgen" war es bisher ohnehin nicht.

Dumm nur, dass diese Sitzstarre stört, wenn man sein Köfferchen ins Gepäckfach hieven will. Dabei würde schon ein kleiner Linksruck helfen. Da schlingert auch noch der ICE, und man droht auf den Herrn neben der Tür respektive seinen Rechner zu fallen. Unverhofft erwacht der Mann aus der Starre. Ah, ein menschlicher Reflex: Er will den Strauchelnden auffangen! Nein, er boxt ihm mit geballter Faust in die Rippen. Der Reflex galt der Rettung seines Laptops. Das ist vielleicht verständlich, aber menschlich gesehen eine Enttäuschung.

Ein bisschen beleidigt sitzt der Geboxte schließlich in der Mitte und kramt seinen Lesestoff heraus. Keine unverschämt großformatige Tageszeitung, sondern ein Magazin, das er, nur ganz kurz mal, auf dem Abteil-Tisch ablegen will. Es bleibt bei dem Vorsatz, denn der Tisch ist - wen wundert das in diesem Zug - belegt. Leider macht keiner der Mitreisenden Anstalten aufzuräumen. Und man selber möchte fremdes Eigentum nicht ungefragt verlagern und auch nicht sein Magazin auf anderer Leute Akten legen. Das gehört sich irgendwie nicht.

Grenzziehung und Grenzüberschreitung

Wer jetzt einwendet, es sei ein Leichtes, den Nebenmann anzusprechen und um ein wenig Platz zu bitten, hat vergessen, dass man ja schon mit seinem freundlichen "Guten Morgen" nichts erreicht hat und der eine der beiden Nebenmänner möglicherweise wieder das Boxen anfängt. Mit der Zeitschrift auf dem Schoß geht es auch.

Im Grunde genommen besteht das Zugfahren aus einem sorgfältigen Austarieren von Grenzziehung und Grenzüberschreitung. Wer regelmäßig mit dem Zug reist, muss also ein psychisch starker Mensch sein. Jetzt mal ganz abgesehen von diesen notorischen Handybrüllern gibt es jede Menge Ausrutscher, die einen in die Hysterie treiben können.

Zu den weniger schweren Fällen gehört der Kampf um die gemeinsame Armlehne (beim Mittelsitz besonders prekär). Mittelschwer sind die, in denen der Nebenplatz ganz unschuldig mit Gepäckstücken und Müll aller Art belegt und im Ernstfall betont umständlich leergeräumt wird. Ganz schlimm ist, was ein Kollege neulich erzählte: Sein Sitznachbar zog während der Fahrt seine Schuhe aus. Muss so was wirklich sein?

Der letzte Montag endete versöhnlich. Ab Frankfurt war ein Fensterplatz im Großraumwagen frei.

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SZaW vom 02.10.2009/jobr
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