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Persönlichkeits-Psychologie:Wie stark kann ich mich für den Job verändern?

Lesezeit: 4 Min.

Vom Eigenbrötler zum Entertainer, von der Pedantin zum Improvisationstalent: Warum es so schwer ist, über seinen Schatten zu springen. Und wie das trotzdem gelingen kann.

Von Sarah Schmidt

Gut ausgebildet und fachlich kompetent? Pah! Für Erfolg im Beruf ist mittlerweile die passende Persönlichkeit entscheidend. Das wird zum Beispiel beim Lesen von Stellenanzeigen deutlich. Teamfähig und aufgeschlossen soll der Bewerber sein. Dabei aber auch selbstständig, verantwortungsbewusst, zielstrebig, überzeugend, belastbar, flexibel und kommunikativ.

Mal abgesehen davon, dass nur ein Kandidat mit multipler Persönlichkeitsstörung alle Anforderungen erfüllen könnte: Kann aus einer schüchternen, zurückhaltenden Person eine quirlige Plaudertasche für die Kundenakquise werden, wenn sie denn muss? Oder aus dem verplanten Chaoten ein pingeliger Excel-Freak? Können wir unsere Privatmensch-Persönlichkeit gegen eine Berufsmensch-Persönlichkeit austauschen, so einfach wie wir aus der Sweatjacke ins Business-Jackett schlüpfen? Und wenn ja, wie?

Die "Big Five": Was ist Persönlichkeit?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, ist es zunächst wichtig, das Konzept der "Persönlichkeit" zu verstehen. Die Psychologie versteht darunter die psychischen Eigenschaften eines Menschen. Es geht darum, wie sich eine Person typischerweise verhält, wie sie im Normalfall denkt und fühlt.

Wer sich mit der psychologischen Fachliteratur zum Thema beschäftigt, stößt unter Garantie auf die "Big Five", auch "Ocean-Modell" genannt. Über Jahrzehnte der Forschung haben sich fünf Dimensionen herauskristallisiert, mit denen sich die Persönlichkeit eines Menschen beschreiben lässt.

Bei der Ausprägung der Eigenschaften sind alle unterschiedlichen Kombinationen denkbar. Es gibt den bestens organisierten Pessimisten genauso wie die selbstbewusste Chaotin. Worin sich jedoch alle Menschen gleichen: Sie wären gerne anders - zum Beispiel ordentlicher, pünktlicher, kreativer und netter zu den Mitmenschen. Im Rahmen einer Studie gab die absolute Mehrheit der befragten Personen an, wenigstens einige persönliche Eigenschaften verändern zu wollen. 87 Prozent der Studienteilnehmer wollten extrovertierter werden, mehr als 97 Prozent ihre Gewissenhaftigkeit verbessern. Der Wille ist also da. Doch wie sieht es bei den Erfolgsaussichten aus?

Mit 30 ist der Drops gelutscht

Wer die 30 bereits überschritten hat, muss jetzt ganz stark sein: Nicht nur die Vermittelbarkeit bei Tinder nimmt mit dem runden Geburtstag rapide ab, auch die Aussicht, grundlegend etwas an der Persönlichkeit zu verändern. ( Liebe Ü30-Leser, bitte lesen Sie dennoch weiter, im späteren Verlauf des Artikels gibt es noch einige Mut machende Nachrichten.)

"Bei den meisten von uns ist der Charakter im Alter von 30 fest wie Mörtel, der nie wieder weich wird." So hat es der Psychologe und Harvard-Professor William James schon 1887 beschrieben. Auch 125 Jahre später gibt es an dieser Aussage nur wenig zu rütteln. Im Gegenteil, die Wissenschaft hat diese Erkenntnis noch untermauert.

Die Neurowissenschaften und Studien mit eineiigen Zwillingen haben ergeben, dass etwa 40 bis 50 Prozent der Persönlichkeit genetisch verankert sind. Der Rest bildet sich in Kindheit und Jugend heraus. In den 20ern kommen mit dem Auszug, dem ersten Job, den ersten längeren Beziehungen dann noch ein paar prägende Erfahrungen hinzu - doch dann ist Schluss.

Wer mit 30 ein sicherheitsfixierter Bausparer mit alphabetisch sortierter Bücherwand ist, wird mit 50 kein abenteuerlustiger Lebemann mit Extremsport-Hobby mehr werden und umgekehrt. Doch nun zu den guten Nachrichten: Die Rundum-Erneuerung mag nicht mehr möglich sein, doch Persönlichkeits-Feintuning ist noch drin.

Man wächst mit seinen Aufgaben

Die wenigsten Personen schließen sich zu ihrem 30. Geburtstag im stillen Kämmerlein ein, um fortan mit sich und ihrer Existenz zu hadern - zumindest nicht dauerhaft. Das ist gut, denn der wichtigste Schritt, um sich weiterzuentwickeln, ist, aktiv am Leben teilzunehmen und sich neue Herausforderungen und Aufgaben zu suchen.

Tatsächlich haben äußere Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren durchaus die Macht, die Persönlichkeit eines Menschen zu verändern. Studien haben ergeben, dass Personen mit einem neuen Job gewissenhafter werden - jedenfalls wenn sie sich richtig reinhängen in die neue Aufgabe. Genauso werden Menschen in einer funktionierenden Beziehung emotional stabiler.

Der erste Schritt zur umgänglichen Persönlichkeit: überhaupt einen Job haben. Längere Arbeitslosigkeit hat einen durchweg negativen Einfluss. Die Wissenschaftler Christopher Boyce und Alex Wood haben über vier Jahre die Daten von mehr als 6700 deutschen Erwachsenen ausgewertet. Wer in dieser Zeit seinen Job verloren hat, wurde im Schnitt unverträglicher, nachlässiger und weniger offen.

In kleinen Schritten zum neuen Ich

Ganz aktuell haben sich die Forscher Nathan Hudson und Chris Fraley mit der Frage beschäftigt, ob und wie man aktiv ein paar Schräubchen an der eigenen Persönlichkeit drehen kann. Die beiden Psychologen an der University of Illinois haben zwei 16-Wochen-Langzeit-Experimente mit insgesamt knapp 300 Personen durchgeführt.

Das Ergebnis: Zumindest kleine Fortschritte in Richtung Wunsch-Persönlichkeit sind möglich - allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. In dem Experiment hatten die Versuchspersonen Erfolg, die ihre Änderungspläne jeden Tag auf konkrete Handlungen herunterbrachen.

Wer extrovertierter werden möchte, sollte sich also nicht nur pauschal vornehmen, offener auf Leute zuzugehen, sondern sich entsprechende Tätigkeiten überlegen. Zum Beispiel: "Heute Vormittag rufe ich Andreas an, ob er am Dienstag mit mir Mittagessen will." Auch Wenn-Dann-Absichten haben sich bewährt: "Wenn ich mich gestresst fühle, dann rufe ich meine Mutter an, um darüber zu reden."

Schöner Schein

Doch nicht immer kann man Monate oder gar Jahre warten, bis in mühsamer Arbeit die Persönlichkeit für den Job optimiert ist. Schüchterne, die bald eine wichtige Präsentation halten müssen oder Choleriker, die künftig als Projektleiter für gute Stimmung sorgen sollen, brauchen eine schnelle Lösung. Ihnen hilft eine dritte Möglichkeit: Wenn es sein muss, kann der Mensch sich über sein Naturell hinwegsetzen und sich auch mal ein paar Stunden entgegen seiner ureigenen Persönlichkeit verhalten.

Das legt Brian Little, Psychologie-Professor in Cambridge, anschaulich in seinem Buch zum aktuellen Stand der Persönlichkeitspsychologie " Me, Myself and Us" dar, das im Oktober auf Deutsch erschienen ist. "Free traits", "freie Eigenschaften" nennt der Wissenschaftler die selbstgewählten Verhaltensmuster. Wenn ihm das Anliegen wichtig ist, dann kann auch der gewissenhafte Kontrollfreak improvisieren oder der übervorsichtige Pessimist die Bewerbung für eine neue Stelle abschicken.

Little selbst ist das beste Anschauungsobjekt für seine Theorie, wenn er als "passionierter Introvertierter" witzige und wortgewandte Vorträge vor großem Publikum hält. Ein Beispiel ist sein TED-Talk zum Thema:

Allerdings hat es Folgen, wenn wir situationsabhängig gegen unser Naturell arbeiten. Little zufolge kommt es zu erhöhter Aktivität im sympathischen Nervensystem, das den Körper in Alarmbereitschaft versetzt und auf eine Flucht oder einen Kampf vorbereitet. Puls und Blutdruck erhöhen sich, die Anspannung steigt - klassische Stressreaktionen treten ein. Wer dauerhaft unter diesem Druck steht, riskiert ein Burnout oder sogar einen Herzinfarkt.

Brian Little empfiehlt daher: Wer sich im Job verstellt, sollte auf typgerechte Rückzugsräume achten. Die harmoniebedürftige Chefin erholt sich dann beim Plausch mit der Lieblingskollegin von einem aggressiven Verhandlungsgespräch. Der gewissenhafte Controller schreibt nach dem Brainstorming mit einem Haufen kreativer Entwickler erst mal eine To-Do-Liste. Little selbst erholt sich übrigens auf dem Klo von seinen extrovertierten Auftritten - ganz allein.

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