Süddeutsche Zeitung

Kommunen:Weniger ist mehr

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Langenfeld im Rheinland hat die Gewerbesteuer gesenkt - und trotzdem keine Schulden. Der Bürgermeister denkt jetzt schon an die Zeit nach Corona.

Von Joachim Käppner

Manchmal sind es die kleinen Dinge und Gesten, die Mut machen. Die gruselig verkleideten Halloween-Kinder fehlten in diesem Jahr, es werden auch keine Süßigkeiten sammelnden Sankt-Martins-Sänger kommen. Corona macht nicht nur Menschen und Gemüter krank, sondern verhindert auch viele Freuden, die ein wenig Trost bieten würden. Dieser trüben Tage sinnt die Stadt Langenfeld (Rheinland) auf Abhilfe. Eine Einwohnerin, berichtet Bürgermeister Frank Schneider (CDU) habe ihm "ans Herz gelegt", Langenfeld möge sich doch an der bundesweiten "Aktion Laternenfenster" beteiligen, bei der die Bürgerinnen und Bürger und vor allem die Kinder selbstgebastelte Laternen in die Fenster der Häuser hängen. Schneider war sofort dabei, denn seine Verwaltung hat den traditionellen Martinszug am 11. November absagen müssen - Corona. Er hofft jetzt, dass die Langenfelder an den dunklen Abenden, natürlich mit gebotenem Abstand zueinander, zumindest durch adventlich geschmückte Straßen ziehen.

Das ist eine hübsche Idee, aber natürlich nicht der Grund, warum das rheinische Langenfeld, gelegen östlich des Rheins im Speckgürtel der Metropolen Köln und Düsseldorf, besonders in Wirtschaftskreisen einen ziemlich guten Ruf hat. Die Stadt, fast 60 000 Einwohner, zugehörig zum Kreis Mettmann, zählt zu jenen in Deutschland mit besonders niedrigen, Achtung Verwaltungsdeutsch, Hebesätzen für Gewerbe- und Grundsteuer. Will heißen: Die ansässigen Unternehmen und Grundbesitzer zahlen deutlich weniger Steuern als anderswo - zum Beispiel in Köln und Düsseldorf. Natürlich: "Bei manchen Kollegen macht man sich damit nicht wirklich beliebt", sagt der Bürgermeister.

Die Gewerbesteuer ist die wichtigste Einnahmequelle der Kommunen, sie wird entrichtet von der örtlichen Wirtschaft als Gegenleistung für das, was die Gemeinde für sie tut: Gewerbegebiete, Infrastruktur, eine zügig arbeitende Verwaltung, möglichst attraktives Wohnumfeld. In der späten Ära Helmut Kohl und unter seinem SPD-Nachfolger Gerhard Schröder ab 1998 wehte der Zeitgeist so scharf, dass "unternehmensfreundlichere" Finanzierungsmodelle gesucht wurden. Die Gewerbesteuer, bereits schwer angeschlagen durch Steuerschlupflöcher, sollte endgültig weichen.

Spricht man vom Mut zum Wandel, so kann auch der Mut dazugehören, sich einem falsch empfundenen Wandel entgegenzustellen, auch wenn fast alle anderen sagen, er müsse dringend kommen. Diesen Mut brachten damals die Kommunen und Landkreise und ihre Verbände auf, fast unisono, überparteilich und nach einer geschickten Dramaturgie geführt von den damaligen Städtetagspräsidenten Christian Ude (SPD) aus München und der Frankfurterin Petra Roth (CDU).

Wieso verzichtet eine kleine Stadt freiwillig auf Geld?

Nach dem Jahr 2000 wagten die Städte und Gemeinden in Deutschland etwas, was ihnen die höheren Instanzen des Staatsaufbaus, Bund und Länder, nicht zugetraut hätten: den Aufstand. Es war, natürlich, kein Aufstand mit Fackeln, Spießen und Mistgabeln wie jener der Bauern gegen ihre Herren 1525, sondern eine gesittete Veranstaltung. Dafür ging sie anders als der Bauernkrieg nicht verloren, im Gegenteil. Am Ende stand die Gewerbesteuer besser und stärker da als zuvor und mit ihr taten es die Kommunen.

Wieso also, Herr Bürgermeister Schneider, verzichtet eine kleine Stadt freiwillig auf Geld, das ihr nicht einmal Bund und Länder wegnehmen können?

Frank Schneider muss beim Lockdown-bedingten Telefonat erst einmal ausholen, kommunale Finanzen sind ein komplexes Feld. Seine Antwort, vereinfacht zusammengefasst: Man habe ja keineswegs auf Einnahmen verzichtet, "unsere Einnahmen sind stattdessen deutlich gestiegen. Man kann nicht einfach rechnen, wie viele Millionen wir wegen der Senkung nicht bekommen haben, ohne gegenzurechnen, wie sich diese Senkung ausgezahlt hat".

Es muss etwas dran sein an dieser Gegenrechnung. Langenfeld hatte die Steuer schon in den Nullerjahren gesenkt, auf 360 Punkte (man rechnet wegen der komplexen Materie mit Hebesatzpunkten), sehr viele Städte verlangen deutlich mehr als 400, manche sogar mehr als 500 und noch mehr. Im bundesweiten Durchschnitt lag die Zahl 2019 bei 402.

Langenfeld hat sie nun weiter reduziert, in einem ersten Schritt auf 330, dann auf 310, und 2021 soll sie auf 299 fallen, schon wegen der Symbolik. "Das ist", scherzt Schneider, "ein bisschen wie im Laden: 2,99 Euro klingt besser als drei Euro." Dennoch ist der Etat ausgeglichen, es gibt Rücklagen von 50 Millionen Euro und keinen Cent Schulden.

Andere Gemeinden leisten sich Spaßbäder, Langenfeld nicht

Und jetzt, die Ausfälle durch die Corona-Pandemie? Vielerorts liegen sie deutlich im zweistelligen Bereich, in Langenfeld unter vier Prozent, so die allerjüngsten Zahlen. Wie bei allen Städten und Kreisen wird der Bund einen Teil der Ausfälle übernehmen, das wird sehr teuer, aber zumindest nicht für den Posten Langenfeld, Rheinland. Allerdings, so Schneider: "Das schlechtere Jahr wird das nächste, 2021, wenn die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie voll durchschlagen. Aber das kriegen wir auch in den Griff."

Sie haben in Langenfeld ja auch den Haushalt ausgeglichen. Am Rathaus, in dem damals Schneiders Vorgänger Magnus Staehler residierte, hing jahrelang eine "Schuldenuhr", 2008 stand sie auf Null. Für diese Leistung wurde Langenfeld schon 2007 als "Kommune des Jahres" ausgezeichnet, und genug Geld war auch da, um ein großes Bürgerfest zu feiern. Schneider und sein Kämmerer nennen das selbstbewusst so: Leistung müsse sich lohnen. "Deshalb bezahlen und bestellen wir nichts auf Pump", sagt der Bürgermeister. Andere Kommunen mögen sich Spaßbäder leisten, Langenfelds Stadtbad ist ansehnlich, hat aber seine Siebzigerjahre-Anmutung so konsequent behalten, dass sich schon bald der Denkmalschutz dafür interessieren könnte.

Die Stadt hat ein paar hübsche Ecken, aber kein historisches Zentrum, Sehenswürdigkeiten sind eher rar, es gibt alte Kirchen und eine Wasserburg; kein Fall für den Fremdenverkehr. Langenfeld liegt nahe der jedenfalls bis zur Corona-Pandemie heftig boomenden Rheinschiene, und dieser Standort ist Segen und Fluch zugleich. Segen, weil die ökonomische Magnetwirkung der Großstädte wie Köln und Düsseldorf auch den Umlandgemeinden zugute kommt; auch deswegen sind die Grundstückspreise in Langenfeld in die Höhe geschossen. Und Fluch, weil man im Umland Investoren und Neubürgern etwas mehr als das Übliche bieten muss, wenn man mit den Metropolen ernsthaft konkurrieren will.

Langenfeld ist da, nicht ganz freiwillig, in den Sog eines Nachbarn geraten, Monheim, dessen jungenhafter Bürgermeister Daniel Zimmermann, Jahrgang 1982, mit Steuernachlässen zum Liebling der Wirtschaftspresse avancierte, Kritiker monierten einen "Dumping-Wettbewerb". Wie auch immer, da musste sich Langenfeld etwas einfallen lassen. Sonst wäre es ja so, um beim Bild der Innenstädte zu bleiben, dass der eine Laden tolle Deko anbietet, wie sie junge Leute heute schätzen, und der Laden nebenan Tapeten und Geschirr aus den Siebzigern. Im Kern, so stellt man es jedenfalls in Langenfeld dar, praktiziert man hier das gute alte Prinzip ordentlichen Wirtschaftens: Lege dir nichts zu, was du dir nicht leisten kannst, und wenn du es dir leisten könntest, bedenke die Folgekosten. Ein Spaßbad kostet vielerorts an reinem Betrieb pro Jahr drei, vier Millionen Euro und mehr; in kargen Zeiten ein böser Ballast, den es hier nicht gibt.

Wichtig ist dem Bürgermeister jedenfalls, dass Unternehmen nicht nur mit niedrigen Steuern gelockt werden, "sie müssen auch gepflegt werden". Mut zu unpopulären Dingen gehört dazu: Kein Anwohner freut sich anfangs, wenn in seinem Umfeld ein Gewerbegebiet entsteht, "aber es muss sein, wir müssen den Menschen erklären, dass ein breites Angebot von Arbeitsplätzen die beste Zukunftssicherung ist". Deshalb gibt es in Langenfeld nicht den einen großen Arbeitgeber, sondern einen gesunden Mix, vom Postverteilzentrum über den Sitz eines spanischen Stahlkonzerns bis zu den vielen kleinen Dienstleistungsbetrieben - und, das ist Stadtsprecher Andreas Voss wichtig, "keine Briefkastenfirmen".

Steuerdumping ist den Kommunen in Deutschland verboten

1600 ganz reale Firmen insgesamt sind es hier, und die Masse sowie die Einkommenssteuer der Beschäftigten machen die rechnerischen Verluste durch die Steuersenkungen mehr als wett. Und natürlich, es gibt einen gewaltigen Standortvorteil gegenüber den nahen Großstädten: Es ballen sich in der kleinen Stadt nicht wie dort die sozialen Probleme mit all ihren ruinösen Folgekosten.

Man muss sich Mut halt auch leisten können, das Risiko, die Gefahr des Scheiterns. Viele klamme Kommunen können das nicht, sie befinden sich in einem Teufelskreis. Je weniger Geld sie haben, desto weniger sind sie in der Lage, Steuern und Gebühren zu senken. Schon 2019 warnte der Deutsche Städtetag: "Steigende Hebesätze für Grund- und Gewerbesteuer sind häufig ein Anzeichen für eine schwierige Haushaltslage von Kommunen." Sie also in prekärer Haushaltslage zu senken, wie es derzeit manche versuchen, und zu hoffen, der Effekt locke schon genug Investoren, ist ein riskanter Weg.

Für Langenfeld hat sich die Rechnung gelohnt, bisher. Die Stadt gehört zu den Trendsettern: Laut Bundesregierung haben im ersten Halbjahr 2019 immerhin 619 deutsche Kommunen ihren Gewerbesteuerhebesatz gesenkt, nur 43 legten drauf. Übrigens ist richtiges Steuerdumping deutschen Kommunen verboten. Seit 2004 muss der Hebesteuersatz mindestens 200 betragen. Bis dahin hat auch Langenfeld noch einige Luft nach unten.

Sie denken dort, trotz Corona und nahender dürrer Jahre, schon an die Zeit danach. Die Pandemie, darauf stellen sich die Wirtschaftsförderer im Rathaus bereits ein, wird das Arbeitsleben selbst dann noch massiv verändern, wenn sie einmal besiegt sein wird. Menschen gehen ins Home-Office, arbeiten zu flexiblen Zeiten. "Darauf werden wir reagieren müssen", sagt Schneider, "klassischen Büroraum zu fördern, wird nicht mehr genügen." Schon spricht der Bürgermeister vom "Campusgedanken", der das Gewerbegebiet der Zukunft prägen werde. Vielleicht ist dies das Geheimnis guter Ideen: selbst in schweren Zeiten an morgen zu denken.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2020
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