Süddeutsche Zeitung

Interview mit Jesuit Michael Bordt:Realitätsflucht mit dem Blackberry

Lesezeit: 4 min

Durch das ständige Hantieren mit dem Blackberry versuchen Manager beruflichen Druck abzubauen, meint der Jesuit und Philosoph Michael Bordt - und plädiert für den zeitweisen Entzug vom Mobiltelefon.

Sibylle Haas

SZ: Herr Professor Bordt, manche Menschen haben zu ihrem Blackberry oder iPhone ein innigeres Verhältnis als zu ihrem Partner. Was ist passiert?

Michael Bordt: Die neuen Kommunikationsmittel haben unser Leben drastisch verändert. Wir sind mit einer Überfülle an Informationen konfrontiert und müssen ständig erreichbar sein. Das führt bei den meisten Menschen zu einer ständigen inneren Unruhe. Viele haben Angst, etwas zu verpassen. Gerade Führungskräfte meinen, sie könnten ins Hintertreffen geraten. Deshalb kümmern sich manche um ihren Blackberry mehr als um den Partner.

SZ: Aber ist die Angst nicht sogar begründet, da auch die Konkurrenten ständig mit dem Blackberry hantieren?

Bordt: Die Angst ist nur teilweise begründet. Wer jede neueste Information auf dem Blackberry, per SMS oder im Internet bekommen will, handelt ineffizient. Informationen müssen priorisiert werden, damit man sie sinnvoll verwerten kann. Führungskräfte müssen sicherstellen, dass sie nur jene Informationen bekommen, die für ihre Entscheidungen wichtig sind. Der Rest stiehlt ihnen die Zeit. Es ist doch nicht die Aufgabe von Managern, sich selber möglichst viele Informationen zu besorgen.

SZ: Funktioniert das?

Bordt: Ja. Um Informationen zu priorisieren, braucht man aber eine Struktur. Das können Mitarbeitergruppen, zum Beispiel E-Mail-Verteilergruppen sein, die nur ganz bestimmte Informationen bekommen. Andere Gruppen bekommen andere Infos. Dazu braucht man aber Leute, die dieses elektronische Raster festlegen, über das die vielen Einzelinformationen zugeordnet und gefiltert werden. Führungskräfte müssen vor allem dafür sorgen, dass ihnen ihre Mitarbeiter die richtigen Informationen liefern.

SZ: Nun finden es manche Menschen aber schick, sich ständig mit dem Blackberry zu präsentieren. Werden die neuen Kommunikationsmittel zur Droge?

Bordt: Durchaus. Durch das ständige Hantieren mit dem Blackberry soll oftmals beruflicher Druck abgebaut werden. Doch das ist eine Illusion. Das Bedürfnis, nur keine Information zu verpassen, erzeugt innere Spannungen. Die will man reduzieren, indem man handelt und wieder auf den Blackberry schaut. Den Blackberry beiseite zu legen, bedeutet, den Druck auszuhalten. Wer sich in einer Konferenz langweilt, sollte das mal ohne Blackberry durchstehen. Konflikte im Unternehmen oder zähe Verhandlungen und Sitzungen sind manchmal notwendig. Damit wird die Möglichkeit für ausgereifte und kluge Entscheidungen geschaffen und genau die bringen eine Firma wirklich weiter.

SZ: Wie gelingt der Entzug?

Bordt: Manche Menschen flüchten mit dem Blackberry aus der Realität. Sie müssen wieder lernen, Spannungen auszuhalten. Sie sollten sich bewusst machen, was in ihnen abläuft, warum sie vor sich davonlaufen und warum sie Konflikte scheuen. Sie müssen lernen, die Kommunikationsmittel zu ihrem Nutzen und damit klug einzusetzen. Sonst kleben sie wie Getriebene daran fest.

SZ: ... und werden zum Opfer des Fort schritts?

Bordt: Wenn Führungskräfte meinen, dass sie ständig erreichbar sein müssen, um ihr Unternehmen zu führen, dann fühlen sie sich gerne als Opfer. Wenn man sich als Opfer sieht, dann hat man keine Verantwortung. In Wirklichkeit sind solche Menschen aber oft Täter. Sie sagen, die Kommunikationsmittel raubten ihre Zeit. Sie könnten nicht in Ruhe gründlich über Dinge nachdenken und entschuldigen damit Fehlentscheidungen. Das ist Täterschaft in der Opferrolle.

SZ: Brauchen wir mehr Disziplin beim Umgang mit den neuen Kommunikationsmitteln?

Bordt: Ja, man muss öfter hinterfragen, ob man ausgerechnet jetzt in den E-Mail-Kasten schauen muss oder ob man gerade jetzt auf das blinkende oder brummende Blackberry reagieren will. Hier wird Eile suggeriert, die in Wirklichkeit gar keine ist. Wenn man konzentriert und in Ruhe arbeiten muss, dann sollte man sich ohnehin vom Netz nehmen. Manchmal muss man offline sein.

SZ: Werden wir von den Kommunikationsmitteln terrorisiert?

Bordt: Nein. Den Terror machen sich die Menschen selbst.

SZ: Einigen schmeichelt es, wenn sie am Wochenende beruflich gefragt sind. Was ist mit solchen Leuten los?

Bordt: Ich glaube, diese Menschen brauchen das. Man kann unter dem Vorwand, jetzt arbeiten zu müssen, Konflikten aus dem Weg gehen. Viele flüchten sich am Wochenende in die Arbeit, um den Ansprüchen ihrer Familie auszuweichen. Wenn die Kinder etwas von einem möchten und man seine Ruhe haben will, dann hat man eben gerade viel zu tun.

SZ: Nun verlangt aber die Wirtschaft immer mehr Flexibilität von den Mitarbeitern. Durch Mobiltelefone und Laptops haben wir das geschafft. Wo ist die Grenze?

Bordt: Wenn es an die Gesundheit geht, wenn die Familie darunter leidet, wenn soziale Bindungen auf der Strecke bleiben, dann sollten Mitarbeiter etwas dagegen tun. Beschäftigte können sich dem entziehen, indem sie die ständige Verfügbarkeit zum Thema in ihrem Unternehmen machen.

SZ: Die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmt. Berufliche Mails kommen auch am Abend. Wie schafft man einen ausgewogenen Lebensstil?

Bordt: Das ist individuell unterschiedlich. Wenn jemand Schwierigkeiten in Beziehungen oder kaum soziale Kontakte hat, dann ist die Arbeit natürlich besonders wichtig für ihn. Durch die Arbeit spürt er vielleicht, dass er gebraucht wird. Andere Menschen leben in einer Partnerschaft, haben Familie und neben der Arbeit noch viele weitere Interessen. Vorgesetzte müssen diesen Anspruch auf Freizeit akzeptieren, auch bei Führungskräften.

SZ: Können es sich Manager überhaupt leisten, unterwegs nicht erreichbar zu sein?

Bordt: Auch bei Führungskräften sollte geregelt sein, wann sie gestört werden dürfen. In Notfällen sind doch sowieso die meisten Menschen bereit, in der Freizeit zu arbeiten. Doch Abschalten und Entspannen ist wichtig, um die Arbeit gut zu machen.

SZ: Ist Stille zum Luxus geworden, die man heute nur noch hinter Klostermauern findet?

Bordt: Stille ist kein Luxus, den sich nur noch wenige Menschen leisten können. Es liegt an jedem selbst, Stille zuzulassen. Manchmal braucht es dazu auch Mut, weil die Konfrontation mit der Stille auch eine Konfrontation mit sich selbst sein kann. Aber diese Konfrontation ist gerade für eine Führungskraft auch unerlässlich.

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Quelle:
SZ vom 21.05.2011
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