Süddeutsche Zeitung

Familienpflegezeit:Gut gemeint, schlecht umgesetzt

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Familien sind der größte und günstigste Pflegedienst Deutschlands. Doch die Not von Berufstätigen, die sich über Jahre hinweg um ihre Angehörigen kümmern, ist groß. Die nun von Schwarz-Gelb beschlossene Familienpflegezeit löst das Problem nicht - aus mehreren Gründen.

Charlotte Frank

Die frühe Kindheit und das hohe Alter liegen so weit auseinander, wie es ein Menschenleben nur erlaubt, und doch verbindet sie viel. Beide sind mit den einzigen Ereignissen verknüpft, die allen Menschen gemein sind: Geburt und Tod. Beide bringen Zahnlosigkeit mit sich, kahle Köpfe, Windeln, Brei. Und beide verlangen enormen Betreuungsbedarf.

Hier enden die Parallelen: So niedlich Babys ohne Zähne sind, so gewöhnungsbedürftig sehen zahnlose Alte aus. So anerkannt das Recht berufstätiger Eltern ist, ihre Kleinkinder zu Hause zu betreuen, so verbreitet ist die Not berufstätiger Kinder, wenn sie ihre Eltern über Jahre pflegen müssen. Ihnen zu helfen und den Umzug ins Heim hinauszuzögern, ist jede politische Anstrengung wert.

Insofern ist der am Donnerstag im Bundestag beschlossene Plan von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), eine Familienpflegezeit einzuführen, grundsätzlich gut, aber schlecht umgesetzt. Das Gesetz erlaubt es Beschäftigten, ihre Arbeitszeit zwei Jahre lang für die Pflege von Angehörigen zu senken. In dieser Zeit beziehen sie nur einen Teil ihres Gehalts. Zum Ausgleich müssen sie später voll für diesen Teil weiterarbeiten, bis das Zeitkonto ausgeglichen ist.

Angesichts der großen Herausforderung, vor die 2,4 Millionen Pflegebedürftige die Gesellschaft heute schon stellen, klingt der Plan gut. Doch so wichtig es ist, dass sich die Ministerin der häuslichen Pflege annimmt, so groß sind die Diskrepanzen zwischen dem formalen Anspruch, den ihr Gesetz formuliert, und den faktischen Zwängen derer, die es betrifft.

Bei dem Wort Anspruch fängt es schon an: Ihre Ursprungsidee, ein Recht auf Familienpflegezeit entsprechend dem Anspruch auf Elternzeit festzuschreiben, hat Schröder aufgegeben. Wie schon bei der Frauenquote vertraut sie auf die freiwillige Einsicht von Arbeitgebern, die es - siehe Quote - seit Jahren nicht gibt und auch künftig nicht geben wird.

Billige Lösung für den Staat

Dies umso weniger, als der Großteil der Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen, in gering qualifizierten Jobs arbeiten. Unverbindliche Zusagen sind für sie kaum durchsetzbar. Wobei, das ist der nächste Haken, sich ohnehin nur die wenigsten von ihnen einen Verzicht auf einen Teil ihres Gehalts leisten können.

Familien sind der günstigste und größte Pflegedienst Deutschlands. Mehr als 1,7 Millionen Menschen betreuen ihre Angehörigen zu Hause, davon sind 80 Prozent Frauen. Kann es wirklich sein, dass der Staat für sie nicht mehr übrig hat als eine theoretische Zusage? Und kann es sein, dass der Ministerin nichts einfällt, das Frauen aus dem klassischen Rollenbild heraushilft, statt sie weiter hineinzudrängen?

Familienpflegezeit heißt, dass manche Mutter nach der Kindererziehung gleich die nächste berufliche Pause einlegen muss. Das mag billig für den Staat sein, die neue Pflegezeit kostet ihn fast nichts. Bei der Lösung eines der größten demographischen Probleme kann es aber nicht nur um die Kosten gehen.

Niemand will ins Heim, deshalb ist eine Pflegezeit wichtig. Ihr erstes Ziel sollte aber nicht sein, dass Angehörige die Betreuung voll übernehmen - sondern dass sie in dieser Zeit gute Pflege organisieren können. Das bestehende Pflegezeitgesetz war schon darauf ausgerichtet: Es sieht einen Rechtsanspruch auf ein halbes Jahr Auszeit vor, wenn Arbeitnehmer sich um Betreuungsfragen kümmern müssen.

Sinnvoll wäre gewesen, diese Regelung weiterzuentwickeln, etwa durch eine steuerfinanzierte Lohnersatzleistung für Pflegende. Auch andere Wege sind wichtig, etwa die Einrichtung qualitativ hochwertigerer Pflegestützpunkte, die alle notwendigen Dienstleistungen anbieten, oder Angebote zur Erholung nach Vorbild der Mutter-Kind-Kuren.

Kristina Schröders Verdienst ist es, dass sie das Thema Vereinbarkeit von Pflege und Beruf überhaupt auf die Tagesordnung gebracht hat. Das ist ein Anfang. Viel mehr aber auch nicht.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2011
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