Süddeutsche Zeitung

Der Jobcoach:Soll ich mit 27 noch studieren?

Lesezeit: 2 min

SZ-Leser Christopher K. hat in seinem Ausbildungsberuf bisher keinen Job gefunden. Er fragt den Jobcoach, ob ein Studium seine Berufschancen jetzt noch verbessern kann.

SZ-Leser Christopher K. fragt:

Ich bin 27 Jahre alt und gelernter Maler und Lackierer mit vier Jahren Berufserfahrung. Ich habe immer schon mit dem Gedanken an ein Studium gespielt und daher vor zwei Jahren eine Fortbildung zum staatlich geprüften Bautechniker absolviert. Damit habe ich die Möglichkeit erworben, auf dem zweiten Bildungsweg zu studieren. Als Bautechniker habe ich seither keinen Job gefunden, immer hieß es, ich sei zu jung und hätte zu wenig Erfahrung. Nun überlege ich, doch noch zu studieren, zum Beispiel Architektur. Wie würden meine Berufschancen aussehen, wenn ich mit etwa 33 Jahren fertig wäre?

Christine Demmer antwortet:

Lieber Herr K., der Arbeitsmarkt für Architekten und Bauingenieure ist eng mit der Entwicklung der Baubranche verknüpft. Wie Sie sicher wissen, wird aktuell gebaut, was das Zeug hält. Davon profitieren auch die akademischen Bauberufe. Laut Bundesarchitektenkammer waren zu Beginn des Jahres etwa 134 400 Architekten bei den Kammern eingetragen, ungefähr je zur Hälfte freischaffend tätig und angestellt beziehungsweise beamtet. Arbeitslos und arbeitssuchend gemeldet waren im April 2018 ungefähr 5200 Architekten sämtlicher Fachrichtungen.

Das deutet für mich auf einen florierenden Arbeitsmarkt hin. Allerdings wird meine Glaskugel gerade generalüberholt. Darum kann ich Ihnen leider nicht die entsprechenden Zahlen vom Herbst 2024 nennen. Nur so viel ist sicher: Etwa jeder siebte bis achte abhängig beschäftigte Architekt ist derzeit bereits über 55 Jahre alt und dürfte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Nachwuchs wird also gesucht. Heute auf jeden Fall. Und wahrscheinlich auch dann noch, wenn Sie die Hochschule verlassen. So viel geht auch ohne Glaskugel.

Heute legen Arbeitgeber großes Gewicht auf Praxiserfahrung vor und während des Studiums. Ich denke nicht, dass das in sechs Jahren grundlegend anders sein wird. Und da haben Sie dank Ihrer Aus- und Weiterbildung und den vier Jahren Berufstätigkeit einige Trümpfe auf der Hand. Sammeln Sie im Laufe des Studiums noch mehr davon, um das Blatt rund zu bekommen. Schreiben Sie Projektarbeiten. Gehen Sie für ein paar Monate ins Ausland, zum Studium oder für ein Praktikum - egal. Hauptsache raus, frischen Wind um die Nase, fremden Mörtel in der Hand und fließendes Englisch von der Zunge.

Spezialisieren Sie sich auf ein Teilgebiet der Architektur, das Ihrer Meinung nach Zukunft hat. Dazu ein Hinweis: Wald-, Wiesen-, Feld-Architekten, und damit sind keine Landschaftsarchitekten gemeint, bilden mit Abstand den größten Einzelposten unter den Arbeitslosen dieser Berufsgruppe. Also werden Sie besser Fachmann für etwas Spezielles in dieser Profession. Es darf aber wiederum nicht so ausgefallen sein, dass es in Deutschland vielleicht gerade mal vier potenzielle Arbeitgeber gibt.

Und versteifen Sie sich nicht auf Bund, Länder und Kommunen als Arbeitgeber. Die öffentliche Hand zieht sich nämlich immer stärker aus dem Eigenbau zurück und vergibt stattdessen lieber Aufträge an Private. In Form von Public Private Partnerships, kurz PPP, Sie werden davon gehört haben. Trotz aller Kritik an solchen Modellen scheinen die Vorteile für die Behörden zu überwiegen, und dass sich dies binnen sechs Jahren ändert, glaube ich nicht. Mir scheint es jedenfalls besser, Sie arbeiten für die öffentlichen Auftraggeber, als ein Teil von ihnen zu sein. Andererseits ist da die Beamtenpension - doch so weit sind Sie ja noch gar nicht. Aber hoffentlich bald. Wenn Sie das Studium in zehn statt in zwölf Semestern schaffen, wäre das Ihr Trumpf-Ass.

Christine Demmer arbeitet als Wirtschaftsjournalistin, Coach und Autorin zahlreicher Sachbücher in Deutschland und Schweden .

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Quelle:
SZ vom 26.05.2018
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