Süddeutsche Zeitung

Corporate Volunteering:Soziales Engagement, unterstützt vom Arbeitgeber

Lesezeit: 3 min

Von Markus Hensel und Anne Kratzer

Jeden zweiten Donnerstag tauscht Carolin Lerch ihr lichtdurchflutetes Büro vor den Toren Münchens gegen einen vollgestopften Kellerraum im Nachbarort Putzbrunn. Von der Deutschlandzentrale des Pharmaunternehmens MSD fährt die 27 Jahre alte Projektmanagerin dann mit dem BMW zum Clemens-Maria-Kinderheim und öffnet die Türe zum Kellerlager.

Hier stapeln sich gespendete Hosen, Hemden und Schlafanzüge bis zur Decke. Mittendrin steht Lerch im schwarzen Businessrock und Blümchen-Shirt. Voller Stolz zeigt sie die "Quiksilver-Jacken und Adidas-Schuhe", die sie für ein paar Cent verkauft. Doch hier geht es nicht um Business: "Die Kinder müssen nur bezahlen, damit sie lernen, dass Klamotten etwas kosten."

Lerch ist so etwas wie die Store-Managerin im Second-Hand-Laden des Kinderheims. Hier kann sie anpacken und findet sich für eine Stunde in einer ganz anderen Welt wieder: "Es erdet mich, wenn ich die Kinder sehe, denen es nicht ganz so gut geht." Dieses gute Gefühl finanziert ihr Arbeitgeber. MSD bietet allen 1800 Mitarbeitern ein sogenanntes Corporate Volunteering-Programm: 20 Stunden pro Jahr dürfen sie dem Büro entfliehen und sich sozial engagieren. Währenddessen bekommen sie das volle Gehalt.

Viele Menschen wollen spüren, dass sie etwas bewegen können

Immer mehr Unternehmen in Deutschland nutzen solche Programme. Ob Allianz, Microsoft, Deutsche Bank, RWE oder Adidas - nach Zahlen des Bundes setzten schon im Jahr 2013 drei Viertel der Großunternehmen in Deutschland auf Corporate Volunteering. Die Strategie stammt aus den USA und gilt mittlerweile auch hierzulande unter Personalern und PR-Managern als Allzweckmittel: Corporate Volunteering ist gut fürs Image, trainiert die sozialen Fähigkeiten der Mitarbeiter und motiviert sie.

Dahinter steht die Erkenntnis: Viele Menschen wollen spüren, dass sie etwas bewegen können. Sie wollen Sinnvolles schaffen und kein Leben als Bürosklaven fristen. Ein gutes Gehalt und ein schicker Wagen reichen nicht mehr - gerade Unternehmen, welche die besten Mitarbeiter an sich binden wollen, müssen mehr als nur Materielles bieten.

MSD engagiert sich seit mehreren Jahren in der Region, andere Unternehmen veranstalten einmal im Jahr sogenannte Social Days, bei denen Hunderte Kollegen einen Tag lang gemeinsam anpacken und etwa einen Spielplatz bauen. Bei den etwas spezieller ausgerichteten Mentoring- und Pro-bono-Programmen nutzen Mitarbeiter ihre beruflichen Fähigkeiten. Sie helfen mit dem, was sie besonders gut können.

Anke Helten, 47 Jahre alt, Senior-PR-Managerin beim Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline (GSK), kann besonders gut andere Menschen überzeugen. Nach dem Biologiestudium arbeitete sie als PR-Beraterin bei verschiedenen Gesundheitsunternehmen, schließlich landete sie bei GSK in München.

2011 suchte sie nach einer neuen Herausforderung und fand sie beim firmeneigenen Corporate-Volunteering-Programm. Für ein halbes Jahr tauschte Helten ihr klimatisiertes Büro im Villenviertel Bogenhausen gegen ein Freiwilligen-Programm in Rumänien. Dort sollte sie Spenden für ein Hospiz in Bukarest sammeln. Statt wie in ihrem Münchner Alltag für Grippemittel zu werben, organisierte sie einen Benefizball und ein Rockkonzert.

Heute sitzt Helten auf einem purpurfarbenen Designerstuhl im Besprechungsraum der GSK-Deutschlandzentrale und erinnert sich an das Abenteuer Bukarest. Das ist zwar schon knapp vier Jahre her, doch die Managerin zehrt bis heute von ihren Erfahrungen: "Meine Zeit in Rumänien war ein wichtiges Incentive. Wenn ich das damals nicht mitgemacht hätte, wäre ich vielleicht heute nicht mehr hier."

Im besten Falle eine Win-win-win-Situation

Incentives sind Belohnungen für leistungsstarke Mitarbeiter - Bonbons, die Angestellte motivieren und an ihren Arbeitgeber binden sollen. Wer sich aber nicht nur gut fühlen möchte, sondern wirklich etwas verändern will, der sollte seine Projekte gezielt auswählen. Der Sozialpädagoge Michael Reichert von der Münchner Caritas weiß, wie das funktionieren kann. Er stellt seit zehn Jahren den Kontakt zwischen Unternehmen und sozialen Einrichtungen her.

"Wenn die Zusammenarbeit langfristig ist und die Freiwilligen sich mit ihren speziellen Fähigkeiten einbringen, können sie wirklich etwas verbessern", sagt Reichert. Doch leider laufe es oft anders. "Immer mehr Unternehmen bieten Corporate Volunteering an, aber die Projekte werden nicht nachhaltiger", meint der Sozialpädagoge. Das bedeutet nicht, dass er beispielsweise eintägige Sozial-Events ablehnt. Sie könnten immerhin helfen, Vorurteile abzubauen.

Corporate Volunteering ist im besten Fall eine Win-win-win-Situation. Hilfsbedürftige, Mitarbeiter und Unternehmen profitieren gleichermaßen. Manchen scheint es aber nur um den eigenen Gewinn zu gehen. Eine Kollegin von Sozialpädagoge Reichert erinnert sich an die E-Mail-Anfrage eines Unternehmens, das ganz besonders schnell helfen wollte: "Für unser Führungskräfte-Meeting nächsten Dienstag suchen wir ein soziales Event für 60 Leute. Wir hätten am Nachmittag noch drei Stunden Zeit."

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Quelle:
SZ vom 17.10.2015
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