Süddeutsche Zeitung

Serie "Arbeiten nach Corona":Und dann war alles anders

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Die Pandemie hat zu einer Wirtschaftskrise geführt und das Arbeitsleben gewaltig verändert. Es ist eine Erschütterung. Aber sie kann auch Gutes haben.

Ein Kommentar von Nakissa Salavati

Es gibt Ereignisse, an die man sich sein Leben lang und besonders gut erinnert. Das sind meistens - leider - Ereignisse, die verstören, die das Leben in ein Davor und Danach sortieren. Für viele war die Finanz- und darauf folgende Eurokrise ein solcher Moment, weil in beeindruckender Wucht zusammenbrach, was als sicher galt: Banken gingen pleite, die seit gefühlten Ewigkeiten existiert hatten, europäische Staaten bekamen massive Finanzprobleme, weltweit verloren Menschen ihre Arbeit, Anlagepapiere waren nichts mehr wert, die eigentlich fürs Alter absichern sollten. Wer jetzt sehr jung ist, vielleicht schon ein paar Jahre arbeitet, hat die Krise 2008/2009 wahrscheinlich nicht bewusst wahrgenommen. Aber er oder sie lebt in einer Welt, die von ihr geprägt ist. Niedrigzinsen und hohe Immobilienpreise etwa sind ein Erbe.

Auch Covid-19 wird die Wirtschaft und das Arbeitsleben lange prägen und hat sie jetzt schon stärker verändert, als die Finanzkrise es konnte. Das Bruttoinlandsprodukt ist im vergangenen Quartal so massiv eingebrochen, wie es Generationen nicht mehr erlebt haben. Es sind schätzungsweise mehr als sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit, während der Finanzkrise waren es 1,4. Vor allem junge Menschen haben in Deutschland zum ersten Mal spüren müssen, was eine Wirtschaftskrise ist. Was es bedeutet, wenn Firmen nicht mehr einstellen oder sogar kündigen, wenn das Studium ausgesetzt wird und nur noch schwer finanzierbar ist. Manche mussten erleben, dass die Eltern ihre Arbeit verlieren oder plötzlich mit dem eigenen Betrieb nur noch Ausgaben hatten. Seit der Pandemie sammelt die SZ in einem kollektiven Tagebuch Erlebnisse. Eine Frau erzählte: "Mein Chef hat gerade angerufen und mir gekündigt. Ich bin 50 Jahre alt, ich weiß nicht, was ich machen soll." Solche Aussagen erschüttern, zumal Deutschland eine stabile Wirtschaft gewöhnt ist. Ja, auch in den fetten Jahren waren Menschen arbeits- und hilflos. Aber jetzt trifft dies auf deutlich mehr zu.

Zu all den erdrückenden Gefühlen und Zahlen gehört auch, dass Deutschland bislang immer sehr gut weggekommen ist. Hier kennt niemand das Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit, wie es Spanien und Griechenland in der Schuldenkrise erlebt haben. Kaum jemand verlässt Deutschland, weil hier die Perspektive fehlt - im Gegenteil, Menschen kommen. Kurzarbeit ist zwar ein Kriseninstrument, aber immerhin hatte die Politik es zur Verfügung. Vielleicht erleben manche Bürger auch zum ersten Mal, was eine handlungsfähige Politik ist.

Manchen hat der Schock auch gutgetan, Firmen etwa, die sich geziert haben, Arbeit neu zu denken und der Lebensrealität junger Menschen oder Familien anzupassen. Es war schon überraschend, wie große Konzerne, aber auch kleine Mittelständler auf Home-Office umstiegen, soweit es möglich war. Plötzlich nutzten Kollegen und Kolleginnen neue digitale Programme, als sei nichts weiter dabei. Vor Covid-19 hat Gewohnheit oft diese Veränderungen verhindert. Firmen müssen nun lernen, diese schnellen Anpassungen kritisch zu überprüfen. Sollte man Home-Office wirklich dauerhaft einführen, um Kosten zu sparen? Wie können Eltern entlastet werden, wenn Kinder im Herbst eventuell nicht in die Schule dürfen?

All diese Überlegungen betreffen nun vor allem jene, die von zu Hause arbeiten können. Aber man muss schon sehr gut im Verdrängen sein, wenn man die Supermarktmitarbeiter wie vor Covid-19 weitgehend ignoriert und das Gesundheitssystem als selbstverständlich betrachtet. Ein Instrument ist, jene zu wählen, die sich für diese Menschen einsetzen. Denn das muss es doch geben: ein besseres Danach.

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Quelle:
SZ vom 22.08.2020
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