Süddeutsche Zeitung

Coaching im Job:"Viele Menschen sind blind für ihre eigenen Fähigkeiten"

Lesezeit: 5 Min.

Wer unzufrieden im Job ist, muss herausfinden: Was und wohin will ich überhaupt? Experten erklären, wie das klappt.

Von Elisabeth Pörnbacher

Du bist, was du tust - heute definieren sich viele Menschen über ihren Job. Kein Wunder, dass die Ansprüche daran hoch sind: Der Beruf soll glücklich machen, einen fordern und erfüllen. Viele Erwerbstätige haben das Gefühl, ihre Arbeit tut das nicht. Darum wollen sie sich weiterbilden, einen anderen Job erlernen, etwas anderes machen. Doch ist das in jedem Fall sinnvoll? Und wie finden sie eine Weiterbildung, die sie auch ans Ziel führt?

Klaudia Friebe, 31, die eigentlich anders heißt, hatte lange Zeit nicht daran gezweifelt, dass sie den richtigen Job hat. Vier Jahre lang arbeitet sie als Kindergärtnerin in Zürich, bekommt immer wieder wertschätzendes Feedback von Kollegen und Praktikanten sowie die Bestätigung: Du machst deinen Job gut. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt beschleicht sie zunehmend das Gefühl, sie tritt auf der Stelle, sie wächst nicht an ihren Aufgaben. Die Kindergärtnerin kündigt erst, danach sieht sie sich Stellenangebote an, um einen Überblick zu bekommen: Welche Jobs gibt es auf dem Markt? Wo habe ich überhaupt Chancen? Was interessiert mich? Sie macht eine Fortbildung im Bereich Erwachsenenbildung. Welche Position sie anstrebt, weiß Friebe danach aber noch nicht.

So wie der jungen Frau geht es vielen Berufstätigen. Einige davon fühlen in ihrem Arbeitsalltag eine diffuse Unzufriedenheit, ohne zu wissen, woher sie kommt, oder was man dagegen unternehmen kann. Sie merken nur: Die Arbeit bereitet ihnen keine Freude mehr. Sie glauben, sie sind falsch in ihrem Beruf, machen eine Weiterbildung, weil sie hoffen, ein neuer Job bringt neues Glück. Im Jahr 2017 nahmen fünf Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland Weiterbildungsangebote in Anspruch, das zeigt die Arbeitskräfteerhebung des Statistischen Bundesamts. Unter den 25- bis 34-Jährigen waren es circa sechs Prozent. Nicht alle davon machen eine Weiterbildung, die sie auch wirklich weiterbringt.

Klaudia Friebe probiert vieles aus. Sie nimmt sich eine mehrmonatige Auszeit, um sich darüber klar zu werden, wie es weiter gehen soll, in ihrem beruflichen Leben. Sie redet viel mit Freunden und ehemaligen Arbeitskollegen. Diese geben Ratschläge, sagen ihr, was sie gut kann, in welchem Job sie sie sehen. Viele Meinungen prasseln auf sie ein. Zu viele. Am Ende ihrer Auszeit weiß sie immerhin: Sie möchte nicht wieder im Kindergarten arbeiten, weil der Job sie körperlich anstrengt. Und sie möchte etwas im Bereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften machen.

Mind-Maps geben Friebe nützliche Anregungen. Ihr Mind-Map für die Zukunft sieht aus wie eine Baumkrone - aus der Mitte ragen Äste heraus, die mit verschiedenen Aspekten zu folgenden Themen betitelt sind: Was biete ich? - Erwartungen an den Arbeitgeber - Interessen - Stärken - Schwächen - Ein-Jahres-Plan - Fünf-Jahres-Plan. Schließlich geht Friebe zu einem Job-Coach in Zürich. Sie will sich Rat holen von einer neutralen Person.

Auf der Suche nach Höhen und Tiefen

"Es gibt mehrere Möglichkeiten, sich klar zu werden: Was und wohin will ich überhaupt?", sagt Diplom-Soziologin Regina Boiting: Sie arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Business-Coach in Hamburg. Meistens kommen Menschen zu ihr, die unzufrieden sind im Job oder nicht ausgelastet. Sie kommen zu ihr, um herauszufinden, wo ihre Stärken und Motivationen liegen, aber auch, welche inneren Haltungen sie begrenzen und welche Energiefresser. In einem Erstgespräch mit Klienten entwickelt Boiting eine Coachingstrategie, die zur Person passt: Sie arbeitet mit verschiedenen Methoden - Potenzialanalysen, Visionsbildung oder einer berufsbiografischen Analyse.

Bei Letzterer geht es darum, die berufliche Laufbahn aufzuzeichnen und Höhen und Tiefen auszuloten. Dadurch gewinnt der Klient neue Perspektiven auf seine bisherige Arbeit und kann herausfinden, was ihn stört, was ihm gefällt, was er ändern möchte. Wenn sich jemand weiterbilden will, sagt Boiting, gilt es, erstmal zu hinterfragen, woher dieser Wunsch kommt. "Man kann nicht einfach sagen: Machen Sie diese Weiterbildung, dann sind sie wieder glücklich in ihrem Job."

Dieser Meinung ist auch Madeleine Leitner. Sie ist Diplom-Psychologin, ihr beruflicher Schwerpunkt liegt auf Potenzialanalysen. Leitner arbeitet in München. Seit 20 Jahren berät sie Menschen, die meinen, es in ihrem Job nicht mehr auszuhalten.. Sie spricht aus Erfahrung, wenn sie sagt: "Von 100 Personen sind nur drei bis fünf im falschen Beruf." Die meisten anderen, sagt sie, haben ein anderes Problem: Vielleicht fühlen sie sich nicht wertgeschätzt von Kollegen, vielleicht sitzen sie nur im falschen Büro. Trotzdem machen sie irgendeine Weiterbildung, weil sie hoffen, ein neuer Beruf mache sie glücklich. Leitner sagt: "Sie fangen am falschen Ende an."

Sie erzählt von einem Innovationsmanager, der unzufrieden war mit seinem Job, aber nicht benennen konnte, warum. Er ging zu einem Coach, der seine Interessen und Fähigkeiten analysierte. Der Mann war Weinliebhaber, also riet der Coach ihm, es als Sommelier zu versuchen. Damit verdiente der Mann nicht genug Geld; er wurde noch unzufriedener. "Hätte der Berater versucht, herauszufinden, woher die Unzufriedenheit eigentlich kommt, hätte er festgestellt: Der Mann hatte kein Problem mit seinem Job als Innovationsmanager. Er hatte Angst davor, in der Öffentlichkeit zu stehen und Reden zu halten", analysiert Leitner diesen Fall.

Wie bei einer Krankheit, so geht es auch bei der Suche nach der passenden Weiterbildung um die richtige Diagnose und die Frage: Wo liegt das Problem? Um das herauszufinden, hat Leitner einen Plan definiert - mit drei einfachen Schritten. Schritt eins: Zuallererst geht es darum, die folgende Frage zu beantworten: Wo will ich beruflich hin?

Kann man von diesem Beruf leben? Viele Ideen halten einer Realitätsprüfung nicht stand

Leitner empfiehlt ihren Klienten, drei bis fünf mögliche Berufswege aufzuschreiben und diese anhand von bestimmten Kriterien zu betrachten. Sie bezeichnet dieses Verfahren als Standortbestimmung und beschreibt es wie eine Blume: In der Mitte der Blüte stehen drei zentrale Fragen: Was kann ich am besten? Was macht mir am meisten Spaß? Welche Aufgaben passen zu mir? "Diese Fragen können viele gar nicht beantworten. Denn viele Menschen sind blind für ihre eigenen Fähigkeiten", so die Erfahrung Leitners. "Oft fallen ihnen gewisse Tätigkeiten so leicht, dass sie nicht merken, wie talentiert sie in dem Bereich sind." Darum lässt Leitner ihre Klienten Geschichten aus ihrem Leben aufschreiben. Sie fragt: Was macht Ihnen Freude? Gemeinsam mit dem Klienten analysiert sie dann die Texte. Tauchen Verben in diesen Geschichten öfter auf, seien sie oft gute Indikatoren dafür, wohin sich der berufliche Weg entwickeln könnte.

Nach der Standortbestimmung folgt der zweite Schritt. Leitner fasst ihn in einem Satz zusammen: "Nicht alles, was toll klingt, ist auch toll." Die Berufsideen müssen überprüft werden: Wie ist es, in dem Beruf zu arbeiten? Kann man davon leben? Wie ist das Betriebsklima? Viele der Ideen lösen sich nach dieser Realitätsprüfung in Luft auf.

Der dritte Schritt besteht aus mehreren Fragen, die aufeinander aufbauen: Was mache ich jetzt? Wo will ich hin? Wie komme ich ans Ziel? Erst bei diesem letzten Schritt sollte man sich überlegen, welche Weiterbildung die richtige ist, um das berufliche Ziel zu erreichen. Auch hier gilt: Verschiedene Wege recherchieren und sie im Hinblick auf die Frage prüfen: Bringt mich diese Weiterbildung denn wirklich dorthin, wo ich hin will?

Bei der ersten Sitzung beim Job-Coach in Zürich versucht auch Klaudia Friebe, ihren Standort zu bestimmen. Immerhin weiß sie inzwischen, dass sie im Bildungsbereich bleiben möchte. Auf ihrem Mind-Map steht nun hinter "Fünf-Jahres-Plan": Dozentin an einer Fachschule. Da sie gern mit Menschen arbeitet und bereits Erfahrung darin hat, Menschen auszubilden, die mit Kindern arbeiten. Aber so ganz sicher ist sie sich angesichts dieses Berufziels noch nicht.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2018
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