Süddeutsche Zeitung

Berufskrankheiten:Diagnose: Am Job liegt es nicht

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Auffällig selten werden in Deutschland Berufskrankheiten anerkannt. Dahinter steckt ein ausgeklügeltes System, das die Industrie schützt.

Von Christina Berndt und Johannes Ludwig

Beruflich bedingte Gesundheitsschäden werden in Deutschland nur in seltenen Fällen anerkannt. Im Jahr 2016 erhielten lediglich sieben Prozent aller Antragsteller eine Rente zugesprochen, wie die "Süddeutsche Zeitung" gemeinsam mit dem Dokumentationszentrum "ansTageslicht.de" berichtet. Bis zur Anerkennung von Gesundheitsschäden als Berufskrankheiten vergehen in Deutschland zudem in der Regel Jahrzehnte. Dies geht dem gemeinsamen Rechercheprojekt von SZ und ansTageslicht.de zufolge auf ein ausgeklügeltes System zurück, dass die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) als Spitzenverband der Berufsgenossenschaften errichtet hat.

Die Macht der Gesetzlichen Unfallversicherung reicht weit. Sie ist nicht nur die Instanz, die bei Gesundheitsschäden zahlt. Sie definiert zugleich, was als Gesundheitsschaden gilt. Von den Ärzten der Berufsgenossenschaften hängt es ab, ob ein solcher Schaden bei einem Arbeitnehmer festgestellt wird. Und mit Hilfe von Gutachtern entscheiden sie auch, ob der Job tatsächlich die Ursache ist.

Dieses System sei ein "Schutzschild für die Industrie", sagt Hans-Joachim Woitowitz, emeritierter Professor an der Universität Gießen und Arbeitsmediziner. Es sei seltsam und in der deutschen Rechtsordnung einmalig, "dass die Stellen, die für entstandene Schäden bezahlen sollen, diese auch ermitteln."

Zu dem System gehören enge Verflechtungen der DGUV mit Deutschlands Arbeitsmedizin, die Gutachter in den Prozessen vor den Sozialgerichten stellt. Zudem finanziert die DGUV Stiftungslehrstühle, betreibt eine eigene Hochschule für ihren Nachwuchs und unterhält - ähnlich wie die Tabak- und Automobilindustrie - eigene Forschungsinstitute. Diese tragen zur Schaffung genehmer Daten und Fakten bei, und ihre Ergebnisse werden in DGUV-eigenen Publikationen veröffentlicht. So gelangen die erwünschten Forschungsarbeiten in die Öffentlichkeit, selbst wenn dabei aus Sicht seriöser Fachzeitschriften nicht sauber geforscht wurde.

Betroffene werden nicht angemessen entschädigt

Die DGUV betont, sie widme sich "seit über 100 Jahren" der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Auf die Anfrage, ob es in ihrem Interesse sei, möglichst vielen Arbeitnehmern zu helfen oder eher möglichst viele Anträge abzuwehren, verweist sie auf ihren Auftrag. Sie soll "arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren verhüten" und die "Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten mit allen geeigneten Mitteln durch medizinische, berufliche und soziale Rehabilitationsmaßnahmen mindern".

Fakt ist: Am Ende liegt alles in der Hand der DGUV - und zwar ohne echte Kontrolle von außen. Während die Berufsgenossenschaften Körperschaften öffentlichen Rechts sind und damit parlamentarischer Kontrolle unterliegen, steht an ihrer Spitze mit der DGUV ein eingetragener Verein ohne besondere Auskunftspflicht und Kontrolle.

Solange es keine Anerkennung vor den Sozialgerichten gibt, kommt die Solidargemeinschaft für die Folgen der Gesundheitsschäden auf: "Auf diese Art zahlen Krankenkassen und die staatliche Rentenversicherung für ungesunde Arbeitsbedingungen", bemängelt Wolfgang Wodarg von der Organisation "Transparency International", die international Folgen von Korruption bekämpft. Die Kranken müssten oft mit einer knappen Frührente auskommen, statt von den Berufsgenossenschaften angemessen entschädigt zu werden. Noch dazu ändere sich an den krank machenden Arbeitsplätzen nichts: Arbeitgeber sähen selten eine Veranlassung für Prävention, wenn ihnen die Krankheit ihrer Mitarbeiter finanziell nicht schadet.

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