Süddeutsche Zeitung

Berufskrankheit Burn-out:Habe fertig

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Staublunge und Asbestose verschwinden - psychische Leiden wie das Burn-out-Syndrom nehmen zu. Doch sie werden noch nicht als Berufskrankheit anerkannt.

Franziska Brüning

Ein Bäcker mit Mehlstauballergie, ein Lehrer mit Burn-out-Syndrom: Beide leiden unter einer Berufskrankheit, die zu Ausfällen am Arbeitsplatz und im schlimmsten Fall dazu führt, dass sie ihren Job nicht mehr ausüben können. Der Unterschied: Die Allergie ist offiziell anerkannt, während der Erschöpfungszustand eher belächelt wird.

Das Bundesarbeitsministerium führt eine Liste der anerkannten Berufskrankheiten, zu denen beispielsweise Ekzeme, Asbestose, Lärmschwerhörigkeit oder auch die Mehlstauballergie gehören. Bei den Menschen, die nicht mit den Händen arbeiten, tut man sich hingegen schwer. Sie sind - bis auf wenige Berufsgruppen - so gut wie keiner körperlichen Belastung ausgesetzt. Ihre Leiden sind psychischer Art, und diese gelten rechtlich nicht als Berufskrankheiten.

Dabei haben die stressbedingten psychischen und psychosomatischen Erkrankungen im Jahr 2009 einen Rekordwert erreicht, wie eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK belegt, die Betroffenen stehen aber ziemlich alleine da.

Auch nach der jüngsten Umfrage des Bundesinstituts für Berufsbildung in Bonn (BiBB) und der Dortmunder Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zur sich kontinuierlich verändernden Arbeitswelt klagt ein Großteil der 20.000 Befragten über Termin- und Leistungsdruck, Störungen bei der Arbeit, Angst vor Arbeitslosigkeit und mangelnde existenzsichernde Rahmenbedingungen wie befristete Stellen und niedrige Gehälter. Bei elf Prozent der Akademiker ist als Folge dieser Belastungen schon einmal ein Burn-out diagnostiziert worden.

"Der wachsende Druck löst diese psychischen Krankheiten aus. Leistungsdruck, Globalisierungsdruck, Kostendruck, Konkurrenzdruck - die Liste ist lang", sagt Professor Michael Kastner vom Institut für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin in Herdecke. "Immer mehr Firmen verlagern die Marktverantwortung nach unten. Und immer mehr Leute laufen Zahlen hinterher und beuten sich selbst aus, vor allem bei den Banken und Versicherungen."

Kastner glaubt, die steigende Komplexität und Dynamik in der Arbeitswelt machten die Leute "rappelig". Er ist überzeugt, dass die arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen der Akademiker im Grunde Berufskrankheiten sind. Das Problem ist nur, dass den Arbeitnehmern die Beweispflicht obliegt, um bei der Berufsgenossenschaft ihr Leiden als Berufskrankheit anerkennen zu lassen. Bei Burn-out oder Depressionen ist das schwierig, da der Zusammenhang zwischen Arbeit und Erkrankung kaum eindeutig festzustellen ist. Hier übernimmt dann auch niemand die Kosten für eine Behandlung oder Umschulung oder zahlt Entschädigungsleistungen.

Bei den Themen Frühverrentung oder Arbeitsunfähigkeit haben es Akademiker schon ein bisschen leichter. Professor Wolfgang Schneider, Psychiater an der Universität Rostock, wird als Gutachter konsultiert, wenn es darum geht festzustellen, ob Menschen berufsunfähig sind oder wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund einer psychischen oder psychosomatischen Erkrankung früher in Rente gehen dürfen.

"Für die Berufsunfähigkeitsversicherung oder die Frühverrentung stellt sich die Kausalitätsfrage nicht, sondern nur, inwieweit Leistungseinschränkungen gegeben sind", sagt Schneider. Daher prüft er die emotionalen, kognitiven oder auch interaktionellen Fähigkeiten der Menschen und stellt fest, welche Aufgaben sie noch ausführen können - ob sie beispielsweise noch in der Lage sind, Probleme zu lösen, sich zu konzentrieren oder den notwendigen psychosozialen beruflichen Anforderungen zu entsprechen.

Mittlerweile ist es unumstritten, dass die Arbeitswelt viele Menschen krank macht. Dabei sind es weniger bestimmte Berufe, sondern vielmehr Arbeitsformen, unter denen Beschäftigte leiden. Beispiel: Projektarbeit. Besonders in der IT-Branche arbeiten immer mehr Menschen in Projekten. Routinierte Strukturen, bekannte Aufgaben und dauerhafte Zusammenarbeit mit Kollegen gehen dabei verloren. Stattdessen stehen widersprüchliche Anforderungen, Zeitdruck und Konflikte auf der Tagesordnung. Chronische Erschöpfung und das Gefühl, auch nach der Arbeit nicht mehr abschalten zu können, sind die Folge.

Viele Unternehmen bieten deswegen eine betriebliche Gesundheitsförderung an. "Da lache ich immer", sagt Kastner. "Es gibt dann mehr Gemüse auf dem Kantinen-Speiseplan und eine Muckibude. Damit denken sie dann, das Thema vom Hals zu haben." Er macht aber auch die Arbeitnehmer selbst für ihre Situation verantwortlich: "Die Leute müssen ihre Ansprüche zurückschrauben und ihre Nischen finden. Nicht in Facebook stehen oder lieber in eine Kleinstadt als in die Großstadt ziehen. Viele werden mit ihrem Leben nicht mehr fertig, wenn sie sich nicht entschleunigen."

Allerdings glaubt Kastner auch, dass sich nur etwas ändern wird, wenn man den Arbeitgebern den wirtschaftlichen Nutzen von Gesundheit beweist und zeigt, dass eine schlechte Arbeitskultur auch schlechte Leistungen produziert. Hier könnte die AOK-Studie die richtigen Argumente liefern: Während Beschäftigte mit einer Atemwegserkrankung im Schnitt 6,5 Tage fehlen, bleiben die psychisch Erkrankten fast 23 Tage zu Hause. So soll laut Statistischem Bundesamt durch die neue Volkskrankheit im Jahr 2006 schon ein Schaden von 26,7 Milliarden Euro entstanden sein.

Schneider glaubt nicht, dass die Arbeit allein krank macht: "Ich will nicht sagen, dass es keinen Burn-out gibt, aber es ist ein Modethema." Für ihn ist die Problematik komplexer. "So eine Erkrankung ist immer ein Zusammenspiel von individuellen Entwicklungsstrukturen, beruflichen Anforderungen und mangelnden Kompensationsmöglichkeiten im Privatleben", sagt er. Die Menschen seien nicht fragiler geworden, aber die Gesellschaft mit ihrer Zunahme an Geschwindigkeit und Anforderungen überlaste viele. Nicht nur die Arbeitswelt habe sich also verändert, sondern auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Es ist ein Teufelskreis aus beruflich geforderter Flexibilität, Arbeitsdruck und befristeten Stellen, die Wochenendbeziehungen, eine Prekarisierung der Lebensverhältnisse und zerbrechende Familienstrukturen nach sich ziehen.

Im Grunde ist es da schon fast nebensächlich, ob die beruflich bedingten psychischen Erkrankungen anerkannte Berufskrankheiten sind. Arbeitsmedizin und Arbeitgeber müssen das Thema ernst nehmen und mehr auf Nachhaltigkeit und soziale Verträglichkeit statt auf Umsatz und Rendite setzen. Die Rechnung ist einfach: Ein gutes Arbeitsklima zahlt sich letztlich auch für sie aus.

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Quelle:
SZ vom 24.07.2010
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