Süddeutsche Zeitung

Altenpflege:Am Ende

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Strenge Hygienevorschriften, ständige Angst und jede Menge Bürokratie: Die Arbeit in der Altenpflege ist noch anstrengender geworden. Zu Besuch in einem Seniorenheim, in dem man gerade wieder Hoffnung schöpft.

Von Miriam Hoffmeyer

Fast sieht es aus wie vor der Pandemie: Zehn alte Menschen sitzen um einen großen weißen Tisch, ganz ohne Mundschutz. Gerade haben sie "Hänsel und Gretel" gehört, jetzt sollen sie Begriffe finden, die mit den Buchstaben "Gr" anfangen. "Grün, grau, Großmutter - Grippe", ruft eine alte Dame. Die anderen schweigen. "Es gibt da eine Frucht, innen schön rot, mit ganz vielen Kernen - kennen Sie die?", fragt die Betreuungskraft Janina Janello aufmunternd. "Granatapfel", sagen drei Frauen gleichzeitig, die Gehirntrainingsrunde wird lebhafter.

Weil viele Teilnehmer schwerhörig sind, muss Janello extra laut vorlesen und sprechen, um den dämpfenden Effekt der FFP2-Maske auszugleichen: "Das war am Anfang anstrengend, aber ich habe mich daran gewöhnt", sagt sie. "Die Pandemie dauert ja schon so lange, dass ich kaum noch weiß, wie es vorher war."

Seit 18 Monaten arbeitet sie im Pflegezentrum Hans-Klenk-Haus der Arbeiterwohlfahrt im schwäbischen Ludwigsburg. Die drei Monate im Frühjahr 2020, als das Heim fast völlig von der Außenwelt abgeschottet war, wird sie wahrscheinlich nie vergessen. Alle Gruppenangebote fielen damals aus - Gesellschaftsspiele, Backen, Malen, Gymnastik, Gesprächsrunden.

In dieser Zeit arbeiteten die Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes erstmals auch sonntags, um den Kontaktmangel der Bewohner etwas auszugleichen. Statt Gruppen zu leiten, führten sie mehr Einzelgespräche. "Aber das war nicht dasselbe", sagt Janina Janello. In der Gruppe ist die Stimmung besser, die Teilnehmer motivieren einander gegenseitig, das sei schwer zu ersetzen.

"Natürlich war da immer die Angst, dass ich meine Familie anstecke"

Der Alltag in der Altenpflege hat sich im Laufe der vergangenen zwölf Monate stark verändert - auch in Heimen, die wie das Hans-Klenk-Haus von Covid-19-Ausbrüchen verschont blieben. Strengere Hygieneanforderungen, Maskentragen auch bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten und viel zusätzlicher Verwaltungsaufwand erschweren den Mitarbeitern seither das Leben. Besonders zu Beginn der Krise sei "die Arbeitszeit stark verdichtet und gerade noch leistbar" gewesen, sagt Alexandra Metzger, die Leiterin des Sozialdienstes.

Die Pandemie brachte auch psychische Belastungen mit sich. "Natürlich war da immer die Angst, dass ich mich selbst und meine Familie anstecke. Oder dass hier im Haus Corona ausbricht und ich bin vielleicht schuld daran", sagt die Altenpflegerin Yvonne Bork, die eine Wohngruppe im Hans-Klenk-Haus leitet. Diese Angst hat sie heute nicht mehr: Zusammen mit den Bewohnern haben die Pflege- und Betreuungskräfte schon im Januar beide Impfungen erhalten. Um jedes Risiko auszuschließen - und weil es die geltende Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg so vorsieht -, tragen sie aber weiterhin FFP2-Masken und machen darüber hinaus alle drei Tage einen Schnelltest.

Während Yvonne Bork und ihre Kollegen mit Netz und doppeltem Boden arbeiten, sind immer noch viele Altenpflegerinnen und Altenpfleger nur unzureichend vor Ansteckung geschützt. Das ergab eine bundesweite Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) im Dezember. Von rund 3600 befragten Pflegefachkräften, von denen knapp ein Fünftel in Einrichtungen der stationären Langzeitpflege arbeitet, gaben 14 Prozent an, dass sie überhaupt nicht getestet würden.

Fast ein Drittel klagte über fehlende Schutzmasken. Der Unterschied zwischen einzelnen Heimen ist groß, auch innerhalb desselben Bundeslandes. Denn die Verantwortung für den Betrieb und damit auch für die Schutzvorkehrungen liegt bei den Einrichtungsleitungen. Die DBfK-Umfrage ergab auch, dass zwei Drittel der Pflegefachkräfte nicht auf psychosoziale Betreuung wie etwa Supervision zurückgreifen können.

"Wir haben uns alle gegenseitig geholfen und motiviert"

Auch für das Personal des Hans-Klenk-Hauses gibt es solche Angebote nicht. "Wir haben uns alle gegenseitig geholfen und motiviert", sagt Bork. Die 42-Jährige packt lieber an statt zu klagen. Trotzdem sehnt sie sich danach, irgendwann wieder ganz normal arbeiten zu können. Denn auch wenn es gut ist, genug FFP2-Masken zu haben - die Arbeit könne damit zur Tortur werden, meint sie: "Wenn man jemanden duscht, schwitzt man sowieso immer. Mit der Maske ist das viel schlimmer, die wird feucht, man kann kaum noch atmen. Na ja - Augen zu und durch."

Yvonne Bork ist froh, dass zumindest die Bewohner keinen Mundschutz mehr tragen müssen. Im letzten Frühling verbrachte sie sehr viel Zeit damit, die alten Leute in ihrer Wohngruppe daran zu gewöhnen. "Viele sind dement, sie haben überhaupt nicht verstanden, warum sie Masken tragen sollen", erzählt sie. "Immer wieder hieß es, nehmen Sie doch das Ding aus dem Gesicht! Da mussten wir jeden Tag aufs Neue beruhigen und ablenken und erklären."

Den tiefen Einschnitt, den es für die Bewohner bedeutete, als sie weder das Heim verlassen noch Besuch erhalten durften, bekamen alle im Haus zu spüren. Manche Bewohner seien zum Beispiel täglich in die Verwaltung gekommen, einfach zum Reden, erzählt die Pflegedienstleiterin Julijana Hecimovic: "Die haben einfach Kontakt gesucht."

Für die Leitungskräfte und die Geschäftsführung bedeutete die Pandemie über Monate hinweg fast tägliche Extra-Absprachen und immer neue Entscheidungen - von der Planung einer Isolierstation, die nie umgesetzt werden musste, bis hin zu unzähligen Detailfragen, etwa ob sich eine bestimmte Reparatur aufschieben lässt, damit kein Handwerker das Haus betreten muss.

"Wir hatten viel weniger Ausfälle als in anderen Jahren"

Gemeinsam organisierte man Gottesdienstübertragungen auf Leinwände in voneinander abgetrennten Wohngruppen und Fenster-Konzerte im Innenhof. Nachdem im Sommer wieder Besucher kommen durften, musste sichergestellt werden, dass sich alle korrekt registrieren. Der Ablauf der Impfungen wurde frühzeitig vorbereitet, damit alle Bescheinigungen am Stichtag vorlagen. "Auch deshalb ging es bei uns so schnell", sagt Alexandra Metzger.

Schon seit Mitte November müssen alle Besucher einen Schnelltest machen, den eine Mitarbeiterin an der Tür eines vom Hof erreichbaren Raums abnimmt. Erst wenn das negative Ergebnis vorliegt, wird man durch den Haupteingang gelassen. "Der Aufwand ist riesig", sagt Pflegedienstleiterin Julijana Hecimovic. "Zwei Personen testen, eine sitzt an der Pforte, dazu kommt die ganze Organisation mit Anmeldung, Registrierung und Materialbestellung."

Zusammengerechnet fallen dafür etwa 35 Wochenstunden an. Altenheime können fürs Testen personelle Unterstützung der Bundeswehr anfordern. Das Hans-Klenk-Haus schafft es bislang auch so, unter anderem, indem Leitungskräfte beim Testen helfen.

In einer Hinsicht hat die Pandemie auch für personelle Entlastung gesorgt: "Wir hatten viel weniger Ausfälle als in anderen Jahren, weil sich kaum jemand erkältet hat", sagt Hecimovic. Ein Effekt der Schutzmasken, der vermutlich bundesweit wirksam wurde, wie DBfK-Vizepräsident Stefan Werner vermutet. Daten über Fehltage in der Altenpflege 2020 liegen noch nicht vor. Zu Normalzeiten ist der Krankenstand deutlich höher als in anderen Berufen, Studien zufolge sind Fachkräfte in der Altenpflege im Schnitt 18 Tage pro Jahr krankgeschrieben, Hilfskräfte sogar 20 Tage.

"Schon vor Corona herrschte Personalmangel in der Altenpflege"

Darüber hinaus trugen im Frühjahr vergangenen Jahres weitere Faktoren dazu bei, dass der Zusatzaufwand überhaupt zu bewältigen war, erklärt Werner: So konnten Träger Personal aus geschlossenen Tagespflege-Einrichtungen in der stationären Pflege einsetzen. Weil Senioren den Umzug ins Heim lieber aufschoben, blieben Betten frei. Und der Aufschub planbarer Operationen senkte die Nachfrage nach Kurzzeitpflege.

Im Hans-Klenk-Haus kommen auf die 90 Bewohner, in Vollzeitstellen umgerechnet, 45 Pflege- und Betreuungskräfte. Das sei "eine komfortable Situation", meint Sozialdienstleiterin Metzger. In vielen Altenheimen in Deutschland sieht es allerdings anders aus. "Schon vor Corona herrschte chronischer Personalmangel in der Altenpflege", sagt Stefan Werner. "Wenn dann zusätzliche Anforderungen dazukommen, erzeugt das unfassbare Engpässe."

Laut der Dezember-Umfrage des Verbands denkt fast ein Drittel der Pflegefachkräfte über einen Wechsel des Arbeitgebers nach. Ebenso viele spielen mit dem Gedanken, ganz aus dem Beruf auszusteigen. "Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter in der Krise nicht gut geschützt und unterstützt haben, werden das zu spüren bekommen", sagt Werner.

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