Süddeutsche Zeitung

Schlafmedizin:So klappt es mit der Siesta

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Von Werner Bartens

Endlich ist es an der Zeit, ein weit verbreitetes Missverständnis aus der Welt zu schaffen. Es soll ja noch Menschen geben, die einen herrlich erholsamen Mittagsschlaf für ein großes Übel halten und darin aller Laster Anfang sehen und nebenbei natürlich einen Beweis für Arbeitsscheu und mangelnde Disziplin.

Das sind ebenso alte wie schädliche Vorurteile, die zudem den medizinischen Nutzen unterschlagen: Wer regelmäßig Mittagsschlaf hält, tut nämlich entschieden etwas für seine Gesundheit, indem er das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall senkt. Das zeigen Ärzte aus Lausanne im Fachmagazin Heart. Die Studie lässt auch deshalb aufhorchen, weil der Arbeitsethos der Schweizer, die zudem nicht dafür bekannt sind, die Siesta oder andere Formen des Müßiggangs erfunden zu haben, darauf schließen lässt, dass die Forscher nicht aus lokalpatriotischen Gründen befangen waren.

Das Team um Nadine Häusler hatte mehr als 3400 erwachsene Schweizer untersucht und dabei festgestellt, dass bei Menschen, die ein- bis zweimal pro Woche Mittagsschlaf halten, das Risiko für Infarkt und Schlaganfall um fast die Hälfte gegenüber jenen vermindert war, die sich mittags niemals hinlegten. Wer sich hingegen täglich zur Siestazeit ausruhte, hatte nahezu ein ähnlich hohes Risiko wie jene, die am Nachmittag keine Pause einlegten. Es gilt also, die Gebrauchsanweisung für den Mittagsschlaf zu beachten, um optimalen Nutzen daraus zu ziehen.

Statt täglich nach dem Lunch zu ruhen, ist es also besser, nur ein- oder zweimal wöchentlich einen Mittagsschlaf einzulegen. Die Dauer ist offenbar egal, zumindest wenn sich die Siesta-Zeit im Bereich zwischen fünf Minuten und einer Stunde bewegt. Bei einer längeren Siesta droht hingegen der Tiefschlaf. Aus dem aufzuwachen und wieder munter zu werden, dauert nicht nur länger und fühlt sich mühsamer an, es belastet auch Herz und Kreislauf stärker und führt zu größeren Blutdruckschwankungen als eine kurze Pause, wie aus früheren Studien bekannt ist.

Ruhephasen im Büro müssen stärker gefördert werden - aus medizinischen Gründen

Die Forscher vermuten, dass der gelegentliche Mittagsschlaf wohl deshalb gesund ist, weil er "als physiologische Kompensation nach zu wenig Schlaf den Stresspegel senkt und so zu einem verminderten Herzkreislaufrisiko beiträgt". Ist hingegen täglich ein Mittagsschlaf notwendig, "könnte das die Folge einer schlechteren Schlafqualität auf Grund einer chronischen Erkrankung sein", weswegen die Forscher in diesen Fällen ein höheres Risiko für Infarkt und Schlaganfall beobachtet haben.

Allerdings müssen diese Vorgaben an individuelle Umstände angepasst werden und das kann nur bedeuten, dass in turbulenten Lebensphasen auch die häufigere Siesta nicht nur zu tolerieren, sondern als Dienst an der Gesundheit zu verstehen ist. Sofas im Büro oder andere Ruhemöbel sollten Arbeitgeber daher nicht als Ärgernis auffassen, sondern als Präventionsinstrument, das gefördert werden muss. Schließlich erhält es nachhaltig die Produktivität und schützt belastete Arterien.

In einem Kommentar betonen Yue Leng und Kristine Yaffe von der University of California in San Francisco, dass in der Siesta-Forschung unterschieden werden müsse zwischen dem ungeplanten Mittagsschlaf, der sich dann aufdrängt, wenn er gebraucht wird - und der kulturellen Praxis. Zudem mache es einen Unterschied, ob damit Schlafmangel ausgeglichen wird oder die Schwächung durch chronische Krankheit. Viele offene Fragen, denen es nachzugehen lohne, so die Autorinnen: "Es wird Zeit, die Macht des Mittagschlafs und seinen Einfluss auf ein stark belastetes Herz auszuloten." Am besten nach einem stärkenden Nickerchen.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2019
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