Süddeutsche Zeitung

Medizin:Allergie statt Magenschutz

Lesezeit: 2 min

Säureblocker werden massenhaft und bedenkenlos verschrieben. Nun stehen sie im Verdacht, Unverträglichkeiten auszulösen.

Von Werner Bartens

Die Karriere der Medikamente scheint unaufhaltsam zu sein. Gegen Sodbrennen, bei Reflux und vor kulinarischen Exzessen werden sie geschluckt. Ärzte verordnen sie als "Magenschutz", wenn sie gleichzeitig Mittel gegen Schmerzen oder Entzündungen geben, von denen bekannt ist, dass sie die Magenwände angreifen können.

Jetzt geraten die Säureblocker, wie die Gruppe der Protonenpumpenhemmer meist genannt wird, jedoch in die Kritik. Eine umfangreiche Untersuchung im Fachmagazin Nature Communications lässt vermuten, dass die populären Mittel die Neigung zu Allergien verstärken.

"Sobald es im Oberbauch drückt und man sauer aufstößt, werden die Mittel genommen"

Wissenschaftler der Universität Wien um Galateja Jordakieva und Erika Jensen-Jarolim haben Versicherungsdaten von mehr als acht Millionen Österreichern für den Zeitraum zwischen 2009 und 2013 ausgewertet, was fast der gesamten Bevölkerung des Landes entspricht. Auf diese Weise konnten sie analysieren, wer wann welche Medikamente verschrieben bekam. Es zeigte sich, dass Menschen, die einen Säureblocker einnahmen, doppelt so häufig Medikamente gegen Allergien benötigten. Bei Frauen war der Zusammenhang stärker ausgeprägt als bei Männern, außerdem im Seniorenalter mehr als unter Jüngeren. Die erhöhte Allergieneigung zeigte sich unabhängig davon, welches Präparat zur Säurehemmung genommen wurde.

Jensen-Jarolim kam auf die Idee, dass Antazida, wie Protonenpumpenhemmer auch genannt werden, Allergien auslösen, nachdem ein Bekannter allergisch auf Beluga-Kaviar reagierte. Der Immunologin fiel auf, dass er Säureblocker nahm. Zunächst untersuchte sie den Zusammenhang im Tiermodell, jetzt folgte die Analyse am Menschen. "Zwar würde ich nicht darauf wetten, aber es gibt viele Hinweise auf einen solchen Zusammenhang", sagt Edward Mitre, ein Infektionsexperte aus dem amerikanischen Bethesda. Vor Kurzem hat Mitre im Fachmagazin Jama Pediatrics ähnliche Korrelationen in einer Studie mit fast 800 000 Kleinkindern beschrieben. Jene, die im ersten Lebensjahr Säureblocker bekamen, wiesen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit auf, im Verlauf ihrer Kindheit eine Allergie zu entwickeln.

Trotz der beeindruckenden Teilnehmerzahlen betonen beide Studienleiter, dass es sich jeweils um Beobachtungsstudien handelt und die Ergebnisse nur Korrelationen beschreiben, keinen kausalen Zusammenhang. Allerdings gibt es mögliche Mechanismen, die das Phänomen erklären könnten. Da die Befunde unabhängig davon waren, welches Medikament genommen wurde und Säureblocker unterschiedlich wirken, könnte der veränderte pH-Wert im Magen zur erhöhten Allergieneigung führen. Womöglich werden mit der Nahrung aufgenommene Eiweißstoffe im Magen nicht mehr so gut zerkleinert und lösen Allergien aus. Möglich sei auch, dass die Säureblocker selbst Signalwege aktivieren, die zur Allergie führen.

Das absolute Risiko für eine Allergie nach der Einnahme von Säureblockern bleibt weiterhin gering, setzt man die aktuellen Daten in Bezug zur Häufigkeit von Allergien: Für Menschen jenseits der 60 beträgt es fünf statt einem Prozent, für Menschen unter 20 liegt es bei sieben gegenüber fünf Prozent. Dennoch sollte das erhöhte Risiko Anlass sein, die bedenkenlose Einnahme der Mittel zu hinterfragen, deren Verordnung sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht hat. "Protonenpumpenhemmer sind Lifestyle-Medikamente geworden", hat Internist Martin Reincke von der Ludwig-Maximilians-Universität München schon vor Jahren geklagt. "Sobald es im Oberbauch drückt und man sauer aufstößt, werden die Mittel genommen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4547738
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.