Süddeutsche Zeitung

Medizin:Wie umgehen mit dem wohl größten Dilemma der medizinischen Forschung?

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Gene Editing und Tests an Embryonen sind vielversprechende Verfahren gegen Krankheiten auf der ganzen Welt. Doch sie sind extrem riskant.

Von Kathrin Zinkant

Der deutsche Ethikrat hat auf seiner öffentlichen Jahrestagung am Mittwoch in Berlin über neuartige Eingriffe in das menschliche Erbgut mithilfe des sogenannten Gene Editings diskutiert. Mehrfach wurde dort gefordert, die Debatte öffentlich auszuweiten, der Genetik-Experte Jörg Vogel von der Universität in Würzburg sagte: "Deutschland, wir müssen reden". Bereits am Dienstag hatte der Forschungsexperte der Grünen, Kai Gehring, eine ethische Auseinandersetzung gefordert. Der Vorsitzende des Ethikrats, der evangelische Theologe Peter Dabrock, bezeichnete das Gene Editing als "Gespenst", dem man sich im Rahmen der Debatte annähern müsse - um zu sehen, ob es sich wirklich um ein Gespenst handele.

Im Mittelpunkt der Diskussion stehen die Werkzeuge des Gene Editing. Das jüngste dieser Instrumente, die molekulare Gen-Schere Crispr-Cas9, ermöglicht eine einfache, kostengünstige und sehr präzise Veränderung des Erbguts von Lebewesen. Sie lässt sich an Menschen und sogar an Keimzellen und Embryonen anwenden. Die Methode gilt als Schlüsseltechnik - nicht nur, aber insbesondere in der biomedizinischen Forschung. Schwerste genetisch bedingte Krankheiten könnten mit damit nicht nur behandelt, sondern erforscht und vermutlich sogar verhindert werden.

Menschen, die bereits sehr jung an Krebs sterben

Fast jedes biomedizinische Labor arbeitet inzwischen mit dem System. In den Vereinigten Staaten erhielt am Dienstag die erste klinische Patientenstudie grünes Licht von der amerikanischen Ethikkommission. In der Studie werden Immunzellen von Krebskranken so verändert, dass sie Krebszellen erkennen und bekämpfen können. Krebserkrankungen könnten aber auch schon in Keimzellen oder im frühen Embryo verhindert werden. Der Tübinger Kinderonkologe Karl Welte merkte in Berlin an, dass 20 Prozent der krebsauslösenden Genmutationen in der Keimbahn aufträten und dazu führen können, dass Menschen bereits sehr jung an Krebs sterben. Das Gene Editing stellt es in Aussicht, solche Schicksale abzuwenden.

An den Fragen aus dem Publikum wurde jedoch klar: Die Angst vor übereiltem Handeln, lange bevor die Risiken geklärt sind, bleibt groß. So wurden zahlreiche Bedenken angemeldet - von den ungeklärten Risiken der Technik bis hin zu der fließenden Grenze zwischen der bloßen Verbesserung von Menschen zu einem genetischen Determinismus, der Menschen aufgrund ihres Erbguts als defekt abwertet. Dass sich alle Bedenken diese ausräumen lassen, ist unwahrscheinlich. Der Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel merkte zum Beispiel an, es gebe "kein größeres Risiko für eine Gesellschaft, als alle Risiken vermeiden zu wollen".

Einig waren sich die Experten darin, dass sich die klinische Anwendung von Crispr bei Eizellen, Spermien und Embryonen derzeit aufgrund der völlig ungeklärten Risiken verbietet. Fest steht aber auch, dass eine Risikoabschätzung ohne Forschung an Embryonen nicht möglich sein wird. Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, hofft, "dass der Grundsatz, Embryonen ausschließlich zu Zwecken der Fortpflanzung herzustellen, bestehen bleibt."

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