Süddeutsche Zeitung

Lebendtransplantationen:Das Dilemma der Organspender

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Der BGH hat geurteilt, dass Lebend-Organspender "vor sich selbst" geschützt werden müssen. Doch das ändert nichts an ihrer emotionalen Zwangslage, des Kranken letzte Chance zu sein. Einen Ausweg gibt es nur, wenn der Kreis möglicher Spender erweitert wird.

Kommentar von Kathrin Zinkant

Es hatte schlecht ausgesehen für den Mann, der seiner Frau eine Niere spendete, um sie zu retten, und seither an den Folgen des Eingriffs leidet. Doch das Urteil des Bundesgerichtshofs hat dem Lebendspender nun Recht gegeben. Die Ärzte haben den Mann nicht hinreichend über mögliche Folgen aufgeklärt, sie müssen jetzt für die Komplikationen geradestehen. Es ist eine überraschende, aber gute Entscheidung, denn wenn Mediziner nicht umfassend informieren, ist das zum Nachteil der Patienten.

Der BGH überschätzt allerdings, was er mit seinem Urteil noch erreicht zu haben glaubt: Dass eine Aufklärung über mögliche Komplikationen den Spender vor übereilten, riskanten Entscheidungen schützt - und damit "vor sich selbst". So gut das nämlich klingt, am zentralen Dilemma der Lebendspende ändert sich gar nichts. Laut Transplantationsgesetz dürfen auch künftig ausschließlich Personen aus dem engsten Kreis des Kranken eine Niere oder einen Teil ihrer Leber spenden; das heißt Lebenspartner, Kinder, enge Verwandte. Oder anders gesagt: Menschen, die dem Patienten sehr wahrscheinlich in Liebe verbunden sind.

Die Idee dahinter ist zunächst gut und wichtig. Nur wenn die Lebendspende von vertrauenswürdigen Personen gewonnen werden kann, und zwar ohne Anspruch auf eine profitable Gegenleistung, lässt sich Organhandel verhindern. Eine gesetzlich verankerte Beschränkung ist deshalb unerlässlich.

Die emotionale Schieflage der Spender wird zementiert

Zugleich zementiert die derzeit geltende Grenze aber die emotionale Schieflage, in der sich die Lebendspender wiederfinden. Sie können kaum etwas anderes tun, als zu helfen. Es geht immerhin um das Leben des Partners, Elternteils oder Verwandten. Sobald der Entschluss zur Spende möglich erscheint, wird sich kaum ein Liebender von der diffusen Aussicht auf bislang schlecht belegte, aber mögliche Spätfolgen abhalten lassen, sei es ein Erschöpfungssyndrom oder das Versagen der verbliebenen, noch intakten Niere.

Die Operation an sich ist bereits ein Risiko, und kein geringes. Aber gibt es eine andere Option? Nein, die gibt es nicht, denn die Lebendspende wird erst möglich, wenn kein passendes Organ eines Toten gefunden wurde. Also muss es irgendwie gut gehen. Hauptsache, der drohende Tod eines geliebten Menschen wird abgewendet. Danach sieht man weiter.

Ärzte dürfen in dieser Situation ihre Informationspflichten nicht verletzen, das hat der BGH nun festgestellt. Wer jedoch Lebendspender in einer solchen Lage vor sich selbst schützen will, muss ihnen mehr bieten als umfassende Information über Risiken und mögliche Spätfolgen. Die Eheleute, Kinder, Geschwister brauchen einen Ausweg aus dem Dilemma, des Kranken letzte Chance zu sein. Und den gibt es nur, wenn der Kreis möglicher Spender erweitert wird. Nicht hin zum freien Markt für Organe, das wünscht sich sicher niemand. Doch über den Kreis der emotional Abhängigen hinaus.

Es werden vielleicht nicht viele Menschen freiwillig dazu bereit sein, einem Nichtverwandten oder gar Fremden eine Niere zu spenden, ohne Unkosten zwar, aber auch ohne dafür bezahlt zu werden. Aber solche Menschen sind es, die wirklich eine Wahl haben. Und es ergäbe auch aus medizinischer Sicht Sinn, mehr potenzielle Spender in Betracht zu ziehen. Gefragt ist dafür allerdings der Gesetzgeber. Und der müsste dafür sorgen, dass wirklich alle geschützt sind. Spender, Empfänger und Angehörige.

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Quelle:
SZ vom 30.01.2019
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