Süddeutsche Zeitung

Kunststoff:Alternative zu Bisphenol A könnte schädlicher sein

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Von Kathrin Zinkant

Es war eine dieser unheimlichen Geschichten, damals in den Nullerjahren. Der massenhaft in Kunststoffen verwendete Bestandteil Bisphenol A (BPA) stand im Verdacht, krebserregend zu sein. Er könne, hieß es, auch die Fortpflanzung stören, da er im Körper ähnlich wirkt wie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen. Trotzdem durfte der Stoff über viele Jahre selbst in Babyflaschen eingesetzt werden. Erst 2011 war damit in Europa Schluss. Milchfläschchen sind heute immer BPA-frei. Und auch in vielen anderen sensiblen Bereichen ist der verpönte Stoff ersetzt worden. Eigentlich eine gute Sache. Doch nun stellt sich die Frage, ob dieses Verbot nicht vom Regen in die Traufe geführt hat.

Wie Umweltchemiker von der Peking University jetzt im Open Access Journal Nature Communications berichten, hat der Ersatzstoff 9,9-Bis(4-Hydroxy-Phenyl)-Fluoren, kurz BHPF, im Körper von Säugetieren nämlich ebenfalls unerwünschte Nebenwirkungen. In diesem Fall, weil er den Effekten des natürlichen Östrogens entgegensteuert. Das konnten die chinesischen Wissenschaftler an Mäusen beobachten, denen sie Wasser aus BHPF-haltigen Wasserflaschen zu trinken gaben. Der Stoff ließ sich im Blut der Tiere nachweisen.

Nach der Paarung entwickelten sich die Föten der belasteten Weibchen deutlich langsamer als in den Kontrollen. Und auch die Genetik des Hormonhaushalts zeigte sich gestört: Die entsprechenden Erbanlagen wurden seltener abgelesen als normal. Das ist umso bedenklicher, als dass das chinesische Team auch im Blut von menschlichen Probanden BHPF nachweisen konnte.

Für Europäer ist das nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung zunächst kein Grund zur Sorge: In Lebensmittelverpackungen der EU ist BHPF derzeit nicht zugelassen. Aber das Ersatzgift könnte aus anderen Quellen ins menschliche Blut übergehen. "Die Autoren weisen selbst darauf hin, dass sie nicht wissen, ob das BHPF aus den Flaschen stammt", sagt der Ökotoxikologe Thomas-Benjamin Seiler von der RWTH Aachen. Der Stoff sei wie viele Ersatzchemikalien schlechter geprüft als BPA.

"Es ist grundsätzlich ein Dilemma, wenn der Ersatz von problematischen Substanzen dazu führen kann, dass bisher weniger untersuchte Chemikalien zum Einsatz kommen", sagt Seiler. Er rät besorgten Verbrauchern, Plastikflaschen grundsätzlich nur in kleiner Größe zu benutzen und wiederverwendbare Plastikgefäße vor dem Gebrauch heiß auszuspülen.

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SZ vom 01.03.2017
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