Süddeutsche Zeitung

Krebs nach der Reaktorkatastrophe:Fukushimas Erbe

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Wie viele Krebserkrankungen der Reaktorunfall in Japan verursacht hat, bleibt auch nach einem neuen UN-Bericht umstritten. Experten zufolge sind es erstaunlich wenig belegbare Fälle.

Von Christopher Schrader

Manche der ehemaligen Nachbarn des zerstörten Kernkraftwerks Fukushima werden in den kommenden Jahrzehnten wegen der freigesetzten Strahlung wohl an Krebs erkranken. Doch weder ihre Identität noch ihre Zahl werden sich angesichts der Vielzahl von Krebsursachen und der normalen Schwankungen der Krebsstatistik feststellen lassen, sagt der Bericht einer von den Vereinten Nationen eingesetzten Expertengruppe.

"Es geht um eine Steigerung von vielleicht 0,1 Prozent des Krebsrisikos, das insgesamt in Japan bei etwa 35 Prozent liegt", sagte der Vorsitzende des Unscear genannten Komitees, der Schwede Carl-Magnus Larsson, bei der Vorstellung des Abschlussberichts am Mittwoch in Wien.

Allerdings seien Kinder, die bei dem Unglück im März 2011 ungefähr ein Jahr alt waren und besonders viel radioaktives Jod aufgenommen haben, zumindest theoretisch von häufigerem Schilddrüsenkrebs bedroht. "Wir können das Risiko nicht ausschließen, aber auch nicht bestätigen", sagte Wolfgang Weiss, der die Studiengruppe geleitet hat. Der deutsche Physiker gab zu, die Aussage sei angesichts der Sorgen vieler Eltern unbefriedigend, aber eine bessere Beschreibung sei wissenschaftlich nicht möglich.

Geschätzte eintausend kleine Kinder sind bei und nach der Kernschmelze von drei Fukushima-Meilern mit Radioaktivität von etwa 100 Millisievert in der Schilddrüse belastet worden, besagt der Bericht. Gemessen an der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sei das eine kleine Zahl: Dort hatten zwei Millionen Kinder 100 Millisievert und 40 000 sogar 1000 Millisievert abbekommen. In Fukushima wurde aber nicht nur deutlich weniger Radioaktivität freigesetzt, das meiste davon wurde zudem auf das Meer hinausgeweht. Entsprechend geringer bewerten die UN-Experten das Risiko in Japan.

75 Fälle von Schilddrüsenkrebs nachgewiesen

Heftige Kritik an dieser Einschätzung äußert Alex Rosen von der Gruppe "Ärzte gegen den Atomkrieg" IPPNW. "Die Risiken für die Menschen in den kontaminierten Gebieten werden vertuscht, verharmlost und verschwiegen", sagt er. Die Zahl der zusätzlichen Tumorfälle werde voraussichtlich bei mehreren Zehntausend liegen. In der Tat dürften sich die Erkrankungen aber nicht kausal mit der Strahlenexposition verknüpfen lassen, weil die Krebsrate in Japan generell hoch sei.

Wie die Zahlen bei den Kindern zu bewerten sind, ist zurzeit umstritten. Die japanischen Behörden haben eine Ultraschall-Reihenuntersuchung der Schilddrüsen von etwa 360 000 Kindern begonnen, die während des Super-GAUs in der Nähe der Kraftwerke lebten. Bei etwa 40 Prozent von ihnen wurden Zysten oder Knötchen gefunden. Das ist zunächst eine erschreckende Zahl, die viele Eltern schockiert hat. Nach Angaben japanischer Behörden und Forscher hat ein Screening an anderen Orten ohne radioaktive Belastung aber ähnliche Raten ergeben.

In der Gegend von Fukushima wurden jedoch bereits 75 Fälle von Schilddrüsenkrebs nachgewiesen, 33 Kindern und Jugendlichen wurde das Organ bereits entfernt. Diese Rate scheint deutlich über den normalen Tumorzahlen zu liegen.

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SZ vom 03.04.2014
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