Süddeutsche Zeitung

Ehtikrat zu Krankenhäusern:Das Patientenwohl bleibt auf der Strecke

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Weil Geld knapp und die Konkurrenz groß ist, gehe es in Kliniken oft nicht mehr um die beste Behandlung, kritisiert der Ethikrat. Darunter leiden vor allem Kinder und Behinderte.

Von Guido Bohsem, Berlin

Der Befund ist verstörend: In deutschen Krankenhäusern herrscht massiver ökonomischer Druck. Durch die große Zahl der Kliniken stehen sie in scharfer Konkurrenz zueinander. Das Geld ist zusätzlich knapp, weil die Länder seit Jahren ihre Finanzzuschüsse kürzen. Um die Lage zu meistern, setzen die Krankenhäuser darauf, die Zahl der Operationen zu steigern und gleichzeitig die Zahl der Pflegekräfte zu senken oder nur bestenfalls konstant zu halten. Menschen mit Behinderung und Kinder werden hingegen ungern behandelt, weil es sich nicht lohnt.

Das Wohl des Patienten bleibt in deutschen Krankenhäusern auf der Strecke, urteilte am Dienstag der Ethikrat. Trotz an sich guter medizinischer Versorgung "gibt es Anlass zur Sorge", sagte die Vorsitzende Christiane Woopen. Ziel müsse sein, das Patientenwohl zum zentralen Leitmotiv im Krankenhaus zu machen. "Wir wünschen uns, dass sich alle Interessensgruppen im Gesundheitssystem nach dem Interesse der Patienten ausrichten."

Nach Auffassung des Gremiums kommt es für den Patienten vor allem auf drei Umstände an. Zum einen sollte er auch innerhalb des Krankenhauses selbstbestimmt handeln können. Er muss also auch in einer gesundheitlichen Notsituation anhand von guten Gründen über sein Schicksal entscheiden können. Zum Patientenwohl gehört laut Ethikrat zweitens eine gute Behandlungsqualität. Hier gehe es zum einen um objektive Kriterien, die sich an medizinisch-wissenschaftlichen Gesichtspunkten orientierten. Wichtig sei aber auch, wie der Patient seine Lage ganz subjektiv beurteilt. Ist er zufrieden mit der Behandlung, entspricht sie seinen Vorstellungen? Wie hoch ist seine Lebensqualität?

Drittens muss es nach Ansicht des Ethikrats zur Sicherung des Patientenwohls bei der Behandlung gerecht zugehen. Das heißt, alle sollten gleichberechtigt Zugang zum Krankenhaus erhalten, dort dann aber gemäß ihrer Krankheit (und damit durchaus ungleich) behandelt werden.

Um das so definierte Patientenwohl ins Zentrum zu rücken, sind nach Ansicht des Ethikrates Veränderungen im täglichen Ablauf in der Klinik notwendig. So sollten die Geschäftsführer der Kliniken künftig neben ihrer ökonomischen Fachkompetenz auch über grundlegende Kenntnisse in Medizin und Pflege verfügen. Vom Gesundheitsministerium erwartet der Ethikrat, dass es eine Mindestzahl von Pflegekräften festlegt, die für die unterschiedlich großen Stationen, die Zahl der Patienten und deren Erkrankungen notwendig sind.

Zwingend notwendig sei auch, dass die Patienten und ihre Ärzte und Pflegekräfte besser miteinander sprechen. "Die Patienten werden immer mündiger", sagte Ethikratmitglied Michael Wunder. Zudem nehme der Anteil von Patienten mit Migrationshintergrund zu und der von Menschen in hohem Alter. Dies alles zeige, dass die Kommunikation verbessert werden müsse. Um den Krankenhäusern dafür Anreize zu geben, sollen sie nach Vorstellungen des Ethikrates künftig mehr Geld erhalten, wenn sie eine gute Kommunikation mit den Patienten nachweisen können. Ärzte und Pflegepersonal sollten entsprechend geschult, Dolmetscher für Migranten und Gehörlose zur Verfügung gestellt werden.

Überhaupt müssten die Regeln überarbeitet werden, nach denen derzeit die Krankenhausleistungen bezahlt werden, die sogenannten Fallpauschalen. Sie führen laut Ethikrat vielfach dazu, dass in den Krankenhäusern Leistungen im Übermaß angeboten werden, die besonders lukrativ sind. Andere Behandlungen fielen jedoch aus dem Angebot. Darunter hätten zum Beispiel Behinderte und Kinder zu leiden.

Das Pflegepersonal sei häufig ungeschult und überfordert, sagte Ethikratmitglied Peter Radtke. Viele Häuser seien gar nicht zu einer Aufnahme bereit. "Es gibt wahre Odysseen von Menschen mit Behinderung, die von Krankenhaus zu Krankenhaus geschoben werden."

Der Ethikrat spricht sich deshalb dafür aus, eigene Fallpauschalen für Kinder und Jugendliche zu erarbeiten. Bis diese fertig sind, soll ausreichend Geld zur Verfügung gestellt werden, um eine Vergütung zu gewährleisten, die den tatsächlichen Kosten entspricht. Auch müsse es Zusatzentgelte für die Behandlungen von Menschen mit Behinderung und dem damit verbundenen Mehraufwand geben.

Das Gesundheitsministerium kündigte an, sorgfältig zu prüfen, "in welcher Weise die angesprochenen Fragen angemessen angegangen werden können". Einige Empfehlungen seien bereits auf den Weg gebracht worden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft erklärte, das Patientenwohl sei die Leitschnur des Handelns der Krankenhäuser. Die Kliniken würden durch ein Förderprogramm 6000 zusätzliche Pflegekräfte einstellen. Um eine ausreichende Personalausstattung zu gewährleisten, müsse allerdings sichergestellt werden, dass die steigenden Lohnkosten auch entsprechend ausgeglichen würden.

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SZ vom 06.04.2016
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