Süddeutsche Zeitung

Medizin:Kinder in Gefahr

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Seit Jahren schon sind Betten auf Intensivstationen für die Jüngsten knapp. Diesen Winter droht die Lage in Kinderkliniken besonders bedrohlich zu werden

Kommentar von Werner Bartens

Längst müsste es in deutschen Tageszeitungen die Rubrik "Der tägliche Skandal" geben. Dort würde wieder und wieder stehen, dass noch immer Millionen Menschen jedes Jahr verhungern, Tendenz wieder steigend. Das politische Trauerspiel um den Klimaschutz würde beschrieben werden. Und neben anderen Skandalen wäre dort anhand immer neuer Beispiele zu lesen, wie fatal es ist, das Gesundheitswesen primär auf Profitmaximierung auszurichten.

Gerade haben Intensivmediziner und Kinderärzte Alarm geschlagen. Wieder mal. Auf Kinderintensivstationen herrscht Platzmangel. Regelmäßig werden Notfallpatienten abgewiesen, die dann erst nach Verzögerungen und viel Hickhack ein Intensivbett finden, teilweise hundert Kilometer entfernt. Eine Umfrage hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der Kliniken immer wieder Kinder ablehnen müssen, darunter Unikliniken. Statt wohnortnaher Spitzenversorgung, womit sich Vertreter von "Exzellenzzentren" der Hochschulmedizin gerne brüsten, gibt es unwürdiges Geschacher um das letzte freie Bett. Jeden Herbst und Winter ist das so, in diesem Jahr droht es schlimmer zu werden als sonst, auch weil das Atemwegsvirus RSV heftig wütet.

Weil pro Fall bezahlt wird, werden manche Kinder "blutig" entlassen

Die Ursachen sind vielschichtig. Pflegemangel wird seit Jahren beklagt - dazu tragen schlechte Bezahlung und starre Dienstpläne weiterhin bei. Auf Kinderintensivstationen ist die Belastung für das Personal psychisch wie physisch besonders hoch. Zudem hat das System der Fallpauschalen dazu geführt, dass die Arbeitsverdichtung extrem zugenommen hat. Weil pro Fall bezahlt wird, werden manche Kranke unverantwortlich früh - im Fachjargon heißt das: "blutig" - entlassen, was die niedergelassenen Ärzte in der weiteren Versorgung oft überfordert. Intensivbetten bereitzuhalten ist teuer, andere Bereiche in der Klinik sind lukrativer, deshalb ist die stabile Finanzierung nicht gesichert.

Gelegentlich gibt es einen Aufschrei, wenn ein Kind drohte zu sterben, weil es nicht aufgenommen werden konnte oder es zu lange gedauert hat, bis ein Bett frei war. Danach ändert sich, genau: nichts. Höchste Zeit, dass die Kliniken ihre Finanzierung stärker nach Patienteninteressen gewichten und die Gesundheitspolitik neue Schwerpunkte setzt. Sonst sind Menschenleben in Gefahr. Gesundheitspolitiker schmücken sich gerne mit anwendungsfernen Forschungsprojekten. Für Patienten zählt die gute und sichere Versorgung im Alltag.

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