Süddeutsche Zeitung

Antidepressiva:Abkömmling der Droge Ketamin in den USA als Medikament zugelassen

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Von Kathrin Zinkant

Erstmals nach mehr als 30 Jahren hat die amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA ein neuartiges Medikament zur Behandlung schwerer Depressionen zugelassen. Die Arznei heißt Esketamin und wird künftig unter dem Namen Spravato in den USA erhältlich sein. Verabreicht wird das Mittel als Nasenspray. Die Zulassung war erwartet worden, nachdem Experten der FDA im Februar eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen hatten.

Der Hersteller Janssen Pharmaceuticals konnte zuvor in größeren Studien zeigen, dass das Mittel gegen schwere und mit Standardtherapien nicht behandelbare Depressionen wirksam ist. Unter diesen sogenannten therapieresistenten majoren Depressionen leiden in den USA schätzungsweise mehr als drei Millionen Menschen. Auch in Deutschland sprechen geschätzt bis zu einem Drittel der Depressiven dauerhaft auf keine Behandlung an.

Esketamin ist eine von zwei zueinander spiegelbildlichen Molekülformen des Betäubungsmittels Ketamin. Ketamin wurde Anfang der 1960er-Jahre entdeckt und seit den 1970er-Jahren auch zunehmend als Droge missbraucht. In geringen Dosierungen wirkt es jedoch antidepressiv. Medizinische Studien zu diesem Effekt laufen seit etwa zehn Jahren, mit oft guten Ergebnissen. Sogenannte Off-Label-Behandlungen ohne offizielle Zulassung sind deshalb mittlerweile auch in Deutschland üblich.

Im Gegensatz zu den bislang verfügbaren Antidepressiva wirkt Esketamin binnen Stunden

Abgesehen von Herkunft und Darreichungsform hat das neue Antidepressivum weitere Eigenschaften, die es von bereits verfügbaren Arzneien wie Serotoninwiederaufnahmehemmern unterscheiden. So wirkt es nicht über die üblichen Botenstoffsysteme im Gehirn, in dem bisherige Mittel vor allem den Serotoninspiegel anheben sollten. Stattdessen entfaltet Esketamin seine Wirkung vornehmlich als Blockade an sogenannten Glutamatrezeptoren, wobei es als linkswendiges Molekül (S-Ketamin von lateinisch sinister, links) fester bindet als das rechtswendige R-Ketamin (lateinisch rectus).

Während ein Effekt herkömmlicher Antidepressiva außerdem erst nach mehreren Wochen eintritt, wirkt das neue Medikament binnen weniger Stunden und über mehrere Tage hinweg. Das Behandlungsschema umfasst deshalb zwei Anwendungen je Woche, zunächst zusätzlich zu einem klassischen Antidepressivum. Insgesamt wird die Medikation mit Esketamin pro Monat bis zu 6785 Dollar kosten, abhängig von der Dosierung. Wegen möglicher Nebenwirkungen und um Missbrauch zu verhindern, soll das Mittel jedoch nur unter ärztlicher Aufsicht mit mindestens zweistündiger Beobachtungszeit verabreicht werden. Als unerwünschte Effekte können zum Beispiel Benommenheit und erhöhter Blutdruck auftreten, auch psychotische Episoden sind möglich. Außerdem ist das Risiko für einen Suizid mutmaßlich erhöht.

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SZ vom 07.03.2019
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