Süddeutsche Zeitung

Herz-Kreislauf-Erkrankungen:Die gefährdetste Spezies

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Von Tobias Herrmann

Warum sterben Menschen häufiger an einem Herzinfarkt als andere Lebewesen? Auf diese Frage haben Forscher möglicherweise eine Antwort gefunden. Schuld daran soll unter anderem ein Gen tragen, welches das Risiko für Arteriosklerose, die Hauptursache für einen Herzinfarkt, deutlich verringert. Dieses Gen besitzen alle Säugetiere, auch der Mensch. Nur ist es bei ihm wegen einer Mutation ohne Funktion.

Diesen neuen Erklärungsansatz bieten Nissi und Ajit Varki von der University of California in einem Aufsatz im Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences. Demnach sei das höhere Arteriosklerose-Risiko beim Menschen auf das inaktive Gen CMAH zurückzuführen. Es enthält den Bauplan für ein Enzym, das eine bestimmte Sialinsäure bildet. Diese Verbindung, so zeigten die Forscher in verschiedenen Experimenten, senkt das Risiko für Arteriosklerose.

Genetisch veränderte Mäuse, bei denen das CMAH-Gen ausgeschaltet wurde, hatten eine doppelt so hohe Anfälligkeit für Arteriosklerose wie die genetisch unveränderte Kontrollgruppe. Außerdem trat bei den veränderten Mäusen vermehrt Diabetes auf. "Das fehlende CMAH-Gen könnte eine Erklärung sein, weshalb selbst Menschen ohne besondere kardiovaskuläre Risikofaktoren plötzlich einen Herzinfarkt erleiden", sagt Ajit Varki.

"Bei Haustieren beobachten wir so gut wie nie verkalkte Blutgefäße."

Die Forscher liefern auch eine mögliche Erklärung, warum das Gen bei Menschen inaktiv ist. Bis vor etwa zwei Millionen Jahren sollen unsere Vorfahren noch ein funktionierendes CMAH-Gen besessen haben. Die produzierte Sialinsäure diente jedoch vermutlich als Andockstelle für einen Krankheitserreger. Im Laufe der Evolution verlor das Gen seine Funktion, wodurch die Menschen immun gegen den Erreger wurden - zu dem Preis, dass sie heute anfälliger sind für Arteriosklerose.

Tatsächlich sind Herzinfarkte und ähnliche kardiovaskuläre Erkrankungen die häufigste Todesursache in Deutschland, das Statistische Bundesamt weist jedem dritten Todesfall eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu. Für Tiere gibt es keine offiziellen Statistiken. Bei vielen Säugetieren scheint das Risiko für Arteriosklerose jedoch deutlich geringer zu sein, wie auch Gerhard Wess, Leiter der Kardiologie an der Medizinischen Kleintierklinik der Universität München, bestätigt: "Bei Haustieren beobachten wir so gut wie nie verkalkte Blutgefäße. Ein Herzinfarkt bei Hunden, Katzen oder auch Pferden ist daher sehr selten."

Doch gilt das für alle Säugetiere? Ganz so einfach ist es nicht. Abgesehen von Haus- oder Zirkustieren bleibt die Todesursache meist im Dunkeln; wer kann schon sicher sagen, ob ein Fuchs im Wald an einem Herzinfarkt oder schlicht an Altersschwäche gestorben ist. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass auch Schimpansen seltener Arteriosklerose entwickeln. Eine mögliche Erklärung: Schimpansen besitzen das CMAH-Gen.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2019
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