Süddeutsche Zeitung

Geschlecht und Ernährung:Müsli macht Männer

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Die Ernährung der Mutter in der Zeit um die Empfängnis hat noch größeren Einfluss auf das Geschlecht des Kindes als bislang gedacht, sagen britische Wissenschaftler.

Werner Bartens

Jungs sind sensibel und müssen gehätschelt und verwöhnt werden. Das gilt nicht nur während ihrer Kinder-, Jugend- und manchmal noch Erwachsenenzeit, sondern offenbar schon vor der Geburt.

Ohne sichere Umgebung sind etliche Jungen nämlich nicht bereit, auf die Welt zu kommen. Forscher wissen, dass Mütter für die Geburt eines Jungen mehr Energie investieren müssen als für weiblichen Nachwuchs.

Welch großen Einfluss die Ernährung der Mutter in der Zeit um die Empfängnis auf das Geschlecht des Kindes hat, ist bisher jedoch wohl unterschätzt worden. Britische Wissenschaftler kommen im Fachblatt Proceedings of the Royal Society B (online) jetzt zu dem Ergebnis, dass kalorienreiche Kost - inklusive Müsli - eher zur Geburt von Jungen führe. In schlechten Zeiten und bei begrenztem Speiseplan der Mutter werden hingegen mehr Mädchen geboren.

Die Biowissenschaftler der Universitäten Exeter und Oxford um Fiona Mathews analysierten Daten von 740 britischen Frauen, die zum ersten Mal schwanger waren und nicht wussten, welches Geschlecht ihr Nachwuchs haben würde. Zudem wurden ihre Essgewohnheiten in der Zeit um die Empfängnis und während der Schwangerschaft erfasst.

Mehr Jungen bei hoher Kalorienzufuhr

Für die Untersuchung teilten die Biowissenschaftler die Frauen in drei Gruppen mit absteigender Energiezufuhr ein. Dabei zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Nahrungsmenge und dem Geschlecht. In der Gruppe der Frauen mit der höchsten Kalorienzufuhr waren 56 Prozent der Neugeborenen Jungen. Die Frauen, die am wenigsten Kalorien zu sich nahmen, brachten hingegen nur zu 45 Prozent Jungen zur Welt.

Bekamen Frauen mehr Jungen, aßen sie in der Frühschwangerschaft nicht nur kalorienreicher, sondern auch vielseitiger - besonders auffällig war, dass Frauen, die morgens Müsli bevorzugten, häufiger Söhne gebaren. Insgesamt war ihre Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen wie Kalzium und Kalium besser. "Die Ernährung scheint ein natürlicher Mechanismus zu sein, mit dem Frauen das Geschlecht ihrer Kinder kontrollieren können", sagt Fiona Mathews.

Wie die Nahrung die Entstehung männlicher Embryonen begünstigt oder verhindert, ist im Detail unklar. Offenbar fördert ein abwechslungs- und umfangreicher Speiseplan - mit Müsli zum Frühstück - jedoch die Geburt von Jungen. Forscher vermuten, dass die Zusammensetzung von Blut und Scheidenmilieu sich abhängig von der Nährstoffzufuhr ändert und so mitbeeinflusst, ob ein Junge oder Mädchen geboren wird.

Zudem erfordert es mehr Energie-Aufwand für werdende Mütter, die Schwangerschaft mit einem Jungen durchzustehen. In Krisenzeiten werden Jungen deshalb eher Opfer von Fehlgeburten als Mädchen. "Stress senkt die Wahrscheinlichkeit, Jungen zu gebären", sagt Ralph Catalano von der Universität Berkeley.

"Unsere Forschung könnte erklären, warum der Anteil der Jungen in vielen wohlhabenden Ländern sinkt", sagt Mathews. In Deutschland ist der Trend zwar nicht zu beobachten, aber in den USA, Kanada und Großbritannien kommen immer weniger Jungen zur Welt.

Die britischen Forscher erklären dieses Phänomen damit, dass sich viele junge Frauen kalorienbewusst und fettarm ernähren. Zudem würden immer weniger frühstücken. In den USA sei der Anteil junger Frauen, die morgens essen, in den vergangenen Jahrzehnten von 85 auf 65 Prozent zurückgegangen.

Aus dem Tierreich - etwa von Kriechtieren, Pferden, Kühen und einigen Hirschen - ist bekannt, dass mehr männlicher Nachwuchs geboren wird, wenn genug Nahrung zur Verfügung steht. Männliche Tiere können der Art zu mehr Nachwuchs verhelfen, der in guten Zeiten mehr Chancen hat, zu überleben. "Hat die Mutter viele Ressourcen, ist es sinnvoll, in einen Sohn zu investieren, weil ihre Chancen auf Enkel größer sind", sagt Mathews. "In unsicheren Zeiten ist eine Tochter die zuverlässigere Wahl."

Ralph Catalano hat die Geschlechtsverteilung von Neugeborenen in Stress- und Krisenzeiten untersucht. In einer Analyse der Geburten in Ost- und Westdeutschland von 1946 bis 1999 zeigte er 2003, dass der Anteil der Jungen, die in Ostdeutschland geboren wurden, in keinem Jahr so niedrig war wie 1991.

Für Catalano ist das ein Beleg dafür, dass der gesellschaftliche und ökonomische Stress für die ostdeutsche Bevölkerung zu keiner Zeit so groß war wie kurz nach dem Mauerfall.

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SZ vom 23.04.2008/mcs
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