Süddeutsche Zeitung

Covid-19:Deutsche Spitzenforscher weisen Weg aus Corona-Krise

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Nach dem skizzierten Plan der vier größten Forschungsorganisationen des Landes bräuchte es noch für einige Zeit weitgehende Beschränkungen. Danach könnte womöglich rasch zu einem Fast-Alltag übergegangen werden.

Von Hanno Charisius

Ungewöhnlich einträchtig präsentiert sich die deutsche Spitzenforschung in einem Strategie-Papier zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie. In einer Mitteilung heißt es, die vier größten deutschen Forschungsorganisation Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Max-Planck-Gesellschaft hätten sich entschlossen, "gemeinsam zur Datenlage Stellung zu beziehen".

Inhaltlich liefert das Paper zwar nicht viel Neues. Doch die Einstimmigkeit, mit der weite Teile der deutschen Spitzenforschung daraus sprechen, verleiht ihm zusätzliches Gewicht. Bereits in den zurückliegenden Tagen ist viel über ein Papier von Helmholtz-Forscherinnen und -Forschern diskutiert worden, in dem sie strengere Maßnahmen für einen begrenzten Zeitraum anregten, um die Zahl der täglichen Neuinfektionen so weit zu senken, dass sie für die Gesundheitsämter kontrollierbar wird. Auch viele andere Forscherinnen und Forscher heißen diese Strategie gut. Doch dass die vier deutschen Spitzenforschungsverbände sich zusammentun und mit einer Stimme sprechen, passiert nicht oft. "Angesichts der großen öffentlichen Bedeutung einer objektiven Faktenlage zum Infektionsgeschehen", sahen sie sich wohl zu diesem Schritt gezwungen.

In der aktuellen Debatte um Lockerungen und Strategien gegen die Pandemie wurden und werden vor allem einzelne Forscher immer wieder zitiert und Politiker sowie andere Meinungsstarke picken sich jene Stimme heraus, die gerade zur eigenen Haltung passt. Mit ihrem Papier üben die vier Spitzenforschungsverbände den Schulterschluss gegen verzerrte Darstellung wissenschaflicher Fakten und ihrer Interpretation, der dem Diskurs nur guttun kann. Dabei nutzen sie eine für viele Wissenschaftler ungewöhnlich klare Sprache, wenn sie zum Beispiel schreiben: "Eine konsequente Eindämmung von Sars-CoV-2 ist aus epidemiologischer Sicht derzeit die einzig sinnvolle Strategie."

Verschiedene Rechenmodelle kommen unabhängig voneinander zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Demnach liegt die sogenannte Reproduktionszahl seit Ende März leicht unter dem Wert eins. Das bedeutet, dass ein Infizierter im Durchschnitt einen weiteren Menschen infiziert. Steigt der Wert über eins, wird der Ausbruch schnell wieder unkontrollierbar. Sinkt er deutlich unter eins Richtung null, könnte das Infektionsgeschehen sogar komplett zum Erliegen kommen. Um ihn bei eins zu halten sind wahrscheinlich weiterhin massive Einschränkungen, wie sie aktuell gelten, notwendig.

Die Forscherinnen und Forscher betonen, dass der messbare Rückgang der Neuinfektionen der gemeinsame Effekt aller im März eingeführten Maßnahmen und der Verhaltensanpassungen der Bevölkerung seien. "Die Situation ist nicht stabil, selbst eine nur kleine Erhöhung der Reproduktionszahl würde uns zurück in eine Phase des exponentiellen Wachstums führen", heißt es in dem Papier.

Veränderungen an den Maßnahmen würden sich erst nach zwei bis drei Wochen in den Infektionszahlen widerspiegeln. In diesem Zeitraum kann das Virus wieder weit um sich greifen, sodass ein erneuter Lockdown unumgänglich wäre. Ausdrücklich loben die Forscher jedoch das bisherige Verhalten der Bevölkerung: "Das persönliche Engagement und die große Akzeptanz haben zentral zu diesem Ergebnis beigetragen", heißt es in der Stellungnahme. Und zuletzt würde es wahrscheinlich mehrere Jahre unter gegenwärtigen Einschränkungen dauern, um die vieldiskutierte "Herdenimmunität" zu erreichen - zumindest wenn das Gesundheitssystem nicht überlastet werden soll.

Die Forscherinnen und Forscher schlagen daher eine zweiphasige Strategie vor: In der ersten Phase werden die Neuinfektionen weiter reduziert, bis eine effektive Kontaktverfolgung möglich ist. In der zweiten Phase könnten Maßnahmen vorsichtig und kontrolliert wieder zurückgenommen werden, da Neuinfektionen dann gut zu kontrollieren sein müssten.

"Es ist möglich, dass die Anzahl der Neuninfektionen N binnen Wochen so weit zurückgedrängt wird, dass umfangreiche Kontakteinschränkungen durch effiziente Kontaktnachverfolgungen ersetzt werden können", heißt es dazu in dem Strategiepapier. Je konsequenter Maßnahmen umgesetzt würden, desto kleiner werde die Reproduktionszahl und desto schneller könne dies erreicht werden. "Die Entwicklung einer adaptiven Strategie zur Eindämmung von Sars-CoV-2 erscheint vor diesem Hintergrund als sinnvoller und effizienter Weg zurück zu einem weitgehend normalen Leben."

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