Süddeutsche Zeitung

Pandemie:Der Mann, der 411 Tage lang Corona hatte

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Londoner Ärzte berichten über eine der längsten Covid-Infektionen, die bislang dokumentiert wurde - und wie sie den Patienten schließlich heilen konnten.

Von Berit Uhlmann

Unzähligen Menschen wurde während der Pandemie enorme Geduld abverlangt. Wann nur ist endlich der Corona-Test negativ? Doch kaum jemand musste so lange auf die Bestätigung seiner Gesundung warten, wie der 59-jährige Patient, über den Ärzte aus London nun berichten. Der Mann wurde über einen Zeitraum von insgesamt 411 Tagen positiv auf Sars-CoV-2 getestet. Erst dann schlug ein Heilungsversuch an, wie Medizinerinnen und Mediziner um Luke Snell vom britischen Guy's-and-St-Thomas'-Klinikverbund im Fachblatt Clinical Infectious Diseases schreiben.

Der Mann hatte vor der Infektion eine Spenderniere erhalten, und wie in solchen Fällen üblich, wurde sein Immunsystem mit Medikamenten unterdrückt, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden. Im Dezember 2020 steckte er sich dann mit Sars-CoV-2 an. Die Symptome verschwanden zwar bald weitgehend, doch das Virus blieb. Mit einzelnen Unterbrechungen zeigten seine Tests immer wieder das gleiche Resultat: positiv.

Während dieser Zeit führten seine Ärzte und Ärztinnen insgesamt drei detaillierte genetische Analysen des Virus durch. Diese Genomsequenzierung wird üblicherweise für die Überwachung von Krankheitserregern und die Aufklärung von Ausbrüchen angewendet. Die Londoner Mediziner nutzten sie mehrfach, um einzelnen Patienten zu helfen.

Im Falle des 59-Jährigen bestätigten ihre Ergebnisse, dass der Mann tatsächlich über die gesamte Zeit mit demselben Virus infiziert war. Es handelte sich um das Ursprungsvirus, bisweilen auch Wuhan-Stamm genannt. Daraus schlossen die Mediziner, dass eine alte, heute obsolete Therapie-Methode angebracht sein könnte. Sie verabreichten dem Patienten einen Mix aus zwei neutralisierenden Antikörpern der Firma Regeneron, die vor allem deshalb bekannt wurde, weil der damalige US-Präsident Donald Trump ebenfalls zu deren Medikament griff. Gegen die Omikron-Variante helfen diese Antikörper nicht mehr, für den britischen Patienten aber waren sie die Lösung. Ab Januar 2022 blieben seine Tests negativ.

Die längste bekannte Infektion dauerte 505 Tage

Was der Mann in all der Zeit durchmachte, ist den Studienautoren zufolge eine der weltweit längsten dokumentierten Corona-Infektionen. Am längsten lebte ihren Angaben nach eine nicht näher beschriebene Person mit dem Virus, die die Londoner Ärzte ebenfalls behandelt und deren Fall sie bereits im Frühjahr auf einem Kongress vorgestellt hatten. Demnach wurde Sars-CoV-2 bei ihr insgesamt 505 Tage lang festgestellt, ehe sie aus nicht genannter Ursache starb. Allein in der Klinik unterzog sich diese Person etwa 50 Corona-Tests. Sie waren ausnahmslos positiv, hatte Luke Snell der BBC im Frühjahr berichtet.

Solche zähen Infektionen sind selten, und doch liefern sie mehr als bloß erstaunliche medizinische Anekdoten. Mitautorin Gaia Nebbia hatte ebenfalls im Frühjahr gesagt: "Immungeschwächte Patienten mit anhaltender Infektion haben schlechte Erfolgsaussichten, und es werden dringend neue Behandlungsstrategien benötigt, um ihre Infektion zu überwinden. Dies könnte auch das Auftreten von Varianten verhindern."

In der Tat hat man festgestellt, dass die Erreger von Dauerinfizierten zahlreiche Mutationen bilden. Es gibt Spekulationen, dass die Alpha- und die Omikron-Variante in den Körpern von Patienten entstanden sein könnten, die sehr lange mit dem Virus kämpften. Auch der Erreger, der den 59-Jährigen britischen Patienten plagte, hatte im Laufe von dessen Corona-Infektion insgesamt 13 Veränderungen angesammelt.

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