Süddeutsche Zeitung

Private und öffentliche Schulen:Wettbewerb zugunsten der Kinder

Lesezeit: 4 Min.

Immer mehr Eltern schicken ihr Kind auf eine Privatschule und zahlen dafür viel Geld. Doch die Leistungen der Schüler sind nicht unbedingt besser. Warum sich Bildungsökonomen trotzdem Vorteile von einem Ausbau der Privatschulen versprechen.

Von Thierry Backes

Welche Schule ist die beste für mein Kind? Die Frage beschäftigt Eltern nicht erst, seit das Thema Bildung Wahlen entscheidet. Spätestens seit dem Pisa-Schock schicken immer mehr ihre Kinder auf Privatschulen - in der Hoffnung, dass sie hier besser ausgebildet werden als an einer öffentlichen Schule. Zu Recht?

Privatschulen werben damit, die besseren pädagogischen Konzepte zu haben. Sie bieten etwa mehrsprachigen Unterricht an, einen besseren Lehrerschlüssel und individuelle Förderung. Das zieht bei den Eltern. Einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Aufrag des Verbandes Deutscher Privatschulverbände (VDP) zufolge würde gut ein Drittel der Eltern ihr Kind lieber auf einer privaten als auf einer staatlichen Schule lernen sehen.

Jeder zwölfte Schüler lernt an einer Privatschule

So weit hat sich das Privatschulwesen indes noch nicht entwickelt: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat im Jahr 2011/12 jeder zwölfte Schüler in Deutschland eine allgemein- oder berufsbildende Privatschule besucht. Hinter dem Begriff Privatschule selbst verbergen sich unterschiedliche Schulen, und nur ganz wenige davon sind Eliteschulen gewerblicher Träger, die ein hohes Schulgeld verlangen. Die meisten Schulen in freier Trägerschaft sind konfessionelle Schulen oder solche, die sich der Montessori- oder der Waldorf-Pädagogik verschrieben haben.

Betrachtet man nur die allgemeinbildenden Schulen, so ist die Zahl der Privatschüler von knapp 576.000 im Jahr 2001/02 (5,8 Prozent) auf knapp 726.000 im Jahr 2011/12 (8,4 Prozent) gestiegen. Und auch die Zahl der allgemeinbildenden Privatschulen selbst steigt kontinuierlich, von 2414 auf 3396 im selben Zeitraum.

Das aber sagt noch nichts über die Qualität von Privatschulen. Ob sie tatsächlich mehr bieten und besser ausbilden, ist umstritten. Forscher sind sich weitgehend einig, dass das Klima an Privatschulen besser ist, insbesondere an reformpädagogischen Schulen. Die Eltern sind zufriedener - und zwar nicht nur, weil sie ihre Schulwahl vor sich selbst rechtfertigen müssen. Das sind Qualitätsmerkmale, die in der Bildungsforschung bislang aber nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben; dort geht es meist um messbare Leistungen.

In den bisherigen Pisa-Tests haben Privatschüler stets etwas besser abgeschnitten als Kinder an staatlichen Schulen. Die Leistungsunterschiede reduzierten sich aber auf ein Minimum, wenn man den sozialen Hintergrund und die homogene Zusammensetzung der Schülerschaft bei Privatschulen herausrechne, sagt der Bildungsökonom und Privatschulkritiker Manfred Weiß, emeritierter Professor am Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main. In anderen Worten: Die Ergebnisse der Privatschüler sind nur deshalb besser, weil sich vor allem Kinder aus bildungsnahen Schichten in den Privatschulen versammeln.

Das spreche gegen die "ständige Glorifizierung von Privatschulen", sagt Weiß: "Privat heißt nicht gleich hervorragend." Das lasse sich auch daraus ablesen, dass der renommierte Deutsche Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung bislang fast ausnahmslos an öffentliche Schulen ging. Privatschulen bleibe in Deutschland einfach nicht genug gestalterischer Spielraum, um sich als Eliteschulen zu etablieren, sagt Weiß: "Sie sind in Deutschland ein Spiegelbild der öffentlichen Schulen."

Das liegt vor allem am Geld. Schulen in freier Trägerschaft erhalten deutlich weniger öffentliche Mittel als staatliche Schulen - obwohl sie als Ersatzschulen die gleichen Abschlüsse anbieten. Im Schnitt deckten die staatlichen Zuschüsse nur 50 bis 60 Prozent der tatsächlichen Kosten des Privatschulbetriebes, hat der studierte Erziehungswissenschaftler Helmut E. Klein vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) errechnet. Je Schüler spare sich die öffentliche Hand 3500 Euro im Jahr, das entlaste die Länderhaushalte um 2,4 Milliarden Euro.

Klein spricht von einer "systematischen Benachteiligung der Privatschulen", die auch rechtlich nicht ganz unproblematisch sei, liefen Privatschulen doch Gefahr, mit einem hohen Schulgeld gegen das im Grundgesetz verankerte "Sonderungsverbot" zu verstoßen. Dieses schreibt privaten Schulträgern vor, Kinder nicht "nach den Besitzverhältnissen der Eltern" auszuwählen. Das freilich ist oft nur Theorie: Eltern zahlen ja ganz bewusst, um ihren Kindern die aus ihrer Sicht bestmögliche Perspektive zu bieten.

Um Schüler aus ärmeren Familien nicht auszuschließen, plädieren mittlerweile nicht wenige Bildungsökonomen dafür, private und öffentliche Schulen finanziell gleichzustellen. Wenn das Schulgeld keine Rolle mehr spielen würde, hätten alle Eltern die Möglichkeit, sich tatsächlich die beste Schule für ihr Kind frei auszusuchen.

Auch der liberale Volkswirt Ludger Wößmann vom Münchner Ifo-Institut schließt sich der Forderung an. Allerdings argumentiert er weniger mit dem Grundgesetz als mit Wettbewerb, der durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander von öffentlichen und privaten Schulen entstünde: Auf Basis von Ergebnissen des Pisa-Tests 2003 hat er festgestellt, dass das Leistungsniveau der Schüler steigt, wenn der Anteil der Privatschulen hoch ist - und wenn diese komplett aus öffentlichen Quellen gespeist werden.

Gute Schüler, kaum Privatschulen in Finnland

Von einem solchen Szenario profitieren laut Wößmann auch die Schüler in staatlichen Schulen, denn auch sie müssten sich dem Wettbewerb um die besten Ideen und Konzepte stellen. "Und effizienter arbeiten", sagt Klein vom IW. "Der Run auf die Privatschulen wäre größer, die staatlichen Schulen müssten ein Kostenbewusstsein entwickeln und sich etwas einfallen lassen, um attraktiv zu bleiben." Es gebe in dem Fall einen Wettbewerb, in dem die Eltern sich das beste pädagogische Konzept aussuchen könnten - egal, wer es anbietet.

In seiner Studie führt Wößmann das Beispiel Niederlande für seine These an: Hier besuchen mehr als drei Viertel aller Schüler eine öffentlich finanzierte und privat organisierte Schule - mit durchaus bemerkenswerten Ergebnis: Bei den bisherigen Pisa-Studien landeten niederländische Schüler ein gutes Stück vor den deutschen.

Die Niederlande seien aber nicht Deutschland, sagt der Privatschulkritiker Weiß. Solange es keine kritische Masse an Privatschulen gebe, könne es kaum Wettbewerbseffekte geben. Außerdem funktioniere Wettbewerb nur in Ballungszentren; auf dem Land mangele es an einer breiten Auswahl an Schulen. Weiß verweist lieber auf Finnland, eines der führenden Länder bei den Pisa-Tests, und ein Land, in dem es kaum Privatschulen gibt. Sein Fazit: "Eltern machen nichts falsch, wenn sie ihr Kind in die Schule stecken, die am besten zu ihnen passt. Ob die nun unter privater oder öffentlicher Trägerschaft läuft, das ist völlig wurscht."

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