Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:"Nichts überstürzen!"

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Mit dem Digitalpakt kommt drei Jahre nach seiner Erfindung nun endlich die Anschubfinanzierung, auf die viele Schulen gewartet haben. Kein Grund, dem Kaufrausch zu verfallen, warnt der Lehrer Patrick Baarcks.

Interview von Susanne Klein

Nach viel Streit zwischen Bund und Ländern über die Details des "Digitalpakts Schule" kann das Geld nun endlich fließen: Fünf Milliarden Euro investiert der Bund bis 2025 in die digitale Infrastruktur der Schulen. Abzüglich einiger Sonderposten werden sie in Relation zur Schülerzahl unter den knapp 33 000 allgemeinbildenden Schulen in Deutschland aufgeteilt; in drei Monaten können die Länder den ersten Schwung Anträge einreichen. Damit kommt auf Schulleiter Mehrarbeit zu: Jeder muss seiner Schulbehörde genau erklären, wofür und mit welchem Ziel er seinen Anteil vom Paktgeld ausgeben will. Der Aufwand ist groß, das Wissen über IT und digitale Lernmedien lückenhaft. Wer als Schulleiter im Kollegium einen Lehrer wie Patrick Baarck hat, kann sich glücklich schätzen. Baarck kniet sich seit Jahren in die Materie hinein und hat einen Fahrplan für Schulen geschrieben, die auf dem Weg ins digitale Zeitalter sind.

SZ: Herr Baarck, sagt jetzt mancher Schulleiter "Oh Gott, das auch noch!"?

Patrick Baarck: Definitiv. Sehr viele Schulleiter fühlen sich überfordert vom Digitalpakt und fürchten, den geforderten Konzepten nicht gerecht zu werden. Wir reden hier von hochkomplexen technischen Geräten, die bedient, sinnvoll eingesetzt und gewartet werden müssen. Und die man vor dem Kauf vergleichen muss, denn der Markt ist voll mit Geräten, es herrscht Goldgräberstimmung. Jeder Hersteller behauptet: Mit meinem Produkt seid ihr digital. Aber das stimmt nicht.

Wieso nicht?

Weil die tollste digitale Tafel sinnlos ist, wenn Lehrer sie nicht bedienen können, sie nicht ruckelfrei läuft, kein pädagogisches Konzept dahintersteht. Solche Probleme sprengen den Unterricht und frustrieren Lehrer und Schüler. Irgendwann landet der teure Multi-Touch-Screen dann als Fehlinvestition in der Ecke.

Müssen Schulleiter denn jetzt schon über Geräte nachdenken? Das Geld vom Bund ist doch vor allem für schnelles Internet, Netzwerkkabel und W lan da.

Stimmt, nur Schulen mit moderner Infrastruktur können jetzt schon Präsentationsmedien wie digitale Tafeln und mobile Endgeräte beantragen. Die meisten sind noch nicht so weit und müssen erst ihre technische Basis auf Stand bringen. Aber der Digitalpakt verlangt auch von ihnen, dass sie vorausdenken, und das ist auch richtig so.

Welche Fragen sind dabei wichtig?

Wie entwickelt sich meine Schülerzahl? Wie viele Geräte sind heute, in fünf oder zehn Jahren im Schulnetzwerk unterwegs? Welche Internetanwendungen will ich ermöglichen? Man sollte zum Beispiel wissen, dass Schulbuchverlage verstärkt auf Streaming setzen, die Schüler streamen ja jetzt schon sehr viel. Das verursacht jede Menge Traffic, einen enormen Datenfluss. So weit muss ich denken, bevor ich das erste Kabel durchs Gebäude ziehe.

Wie viele Schulen stehen erst am Anfang der Digitalisierung?

Nach meiner Schätzung mehr als jede zweite. Die typische Schule hat ein paar Computer, vielleicht einen alten Computerraum, eventuell einige wenige digitale Tafeln unterschiedlicher Generation, vielleicht fliegen vereinzelte Laptops oder Tablets im Gebäude herum. Die Netzwerkverkabelung ist zumeist desolat, Wlan kaum vorhanden, schuleigene Server, auf denen Lehrer und Schüler passwortgeschützt ihre Daten ablegen können, fehlen in der Regel auch.

Wo verorten Sie Ihre eigene Schule?

Als Medienkonzeptschule sind wir ein bisschen weiter. Aber auch bei uns wandert das Geld vom Bund, knapp 125 000 Euro, großteils in die Infrastruktur. Wir haben nämlich genau den erwähnten Fehler gemacht und vor ein paar Jahren von einem Wettbewerbsgewinn zuerst digitale Tafeln gekauft. Erst jetzt werden bei uns der Glasfaseranschluss gelegt und sämtliche Räume mit Netzwerkkabeln versorgt. Aus Fehlern lernt man bekanntlich.

Damit die Fehler nicht zu teuer werden: Wie sollten Schulen nun vorgehen?

Zuerst sollten sie Inventur machen: Was ist an Infrastruktur und Geräten vorhanden? Wie digital bewandert sind die Lehrkräfte? Dann kommt das Medienkonzept: Wie wollen wir die von der Kultusministerkonferenz beschriebenen digitalen Kompetenzen vermitteln? Zum Beispiel: Wann soll ein Schüler in welchem Fach, mit welchem Gerät und welcher Software ein Produkt erstellen und präsentieren können - etwa einen Stop-Motion-Film in Kunst oder eine Tabellenkalkulation in Mathe? Die Schulen müssen also ihre Fachcurricula überarbeiten. Auch ein Hardware- und ein Datenschutzkonzept gehören in diesen Entwurf.

Das klingt nach großer Transformation.

Ich rate dazu, das Medienkonzept als fortlaufenden Prozess zu sehen. Man kann vieles, aber nicht alles vorausplanen.

Was ist mit dem Support? Über dieses Dilemma wird seit Jahren geklagt.

Weil medienaffine Lehrer die Technik meist in ihrer Freizeit betreuen. Das geht natürlich nicht, das muss bezahlt werden. Den Support haben die Schulträger zu sichern, nun verlangt der Digitalpakt ihnen ein Konzept dafür ab, weil ohne Wartung das Geld vom Bund ja umsonst investiert wäre. Mir selbst hilft seit Kurzem halbtags ein eigens dafür eingestellter IT-Fachmann. Ein Segen.

Nach all den Konzepten: Was sollten Schulen zu allererst umsetzen?

Fangt mit eurem Kollegium an! Nur wenn die Lehrkräfte bereit sind, digital zu arbeiten, fährt das Ding nicht vor die Wand. Dafür müssen sie sich allerdings fortbilden.

Und das wollen sie nicht?

Doch! Man muss ihnen aber auch die Zeit dafür geben. Das klappt bislang oft nicht.

Sie bieten selbst Fortbildungen an. Welche funktionieren am besten?

Die besten finden in der Schule statt, an Geräten vor Ort, mit realen Anwendungsszenarien. Vermittelt durch Kollegen, die ich auch nach Wochen noch fragen kann: Wie ging das noch mal? Solche Kollegen, die sich weiterbilden und ihr Wissen gern weitergeben, sind die besten Multiplikatoren.

Wann ist eine Fortbildung schlecht?

Wenn sie einem wertvolle Zeit für die Anfahrt stiehlt, an anderen Geräten als in der Schule stattfindet und abgehobene Szenarien heranzieht. Ein Markenvertreter kann vielleicht virtuos das Potenzial einer Tafel vorführen, aber welchen Mehrwert sie mir und meinen Schülern im Unterricht bringt, davon hat er oft keine Ahnung.

Wie lautet Ihr wichtigster Tipp?

Ein Schritt nach dem andern, nichts überstürzen! Andere Schulen nach ihren Erfahrungen fragen, ausprobieren, für gut befinden, das Nächste angehen. Lieber nur ein paar Tafeln austauschen, als gleich auch Tablets zu kaufen. Niemand arbeitet sich an mehreren Baustellen gleichzeitig ein, dafür ist das Unterrichten mit digitalen Medien viel zu komplex.

Sie scheinen überzeugt vom Sinn der Digitalisierung der Schulen zu sein.Warum?

Weil wir die Schüler dort abholen müssen, wo sie stehen. Ihr Umfeld ist bereits stark digitalisiert, geprägt von Netzwerken, Medien, Apps. Viele meiner Schüler informieren sich fast nur übers Smartphone, bereiten sich mit Online-Tutorials auf die Schule vor. Wenn das ihre Welt ist, dann muss auch ich darin arbeiten und sie darin schulen, diese Welt kritisch zu hinterfragen.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2019
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