Süddeutsche Zeitung

Universität Erlangen:"Wegen Lebensgefahr geschlossen"

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Eine herabgestürzte Decke, krebserregendes PCB in der Raumluft, Asbestgefahr und Schimmel im Keller: Wer an der Universität Erlangen studiert oder unterrichtet, lebt gefährlich. Mehrere Gastwissenschaftler haben sogar schon die Flucht ergriffen.

Von Martina Scherf

Als im Sommer eine Decke auf den Schreibtisch eines Archäologen fiel, herrschte Alarmstimmung an der Universität Erlangen. Die Schwachstellen der maroden Gebäude in der Altstadt waren seit langem bekannt, dass es dort lebensgefährlich würde, damit hatte man aber nicht gerechnet. Schnell wurde ein Sanierungsplan aufgestellt, bis zum Wintersemester sollte der Betrieb wieder laufen.

"Von wegen, unser Lehrstuhlbetrieb ist stillgelegt", sagt Politikprofessor Clemens Kauffmann, der sein Büro nicht mehr benutzen kann. Einstürzende Altbauten, Asbest- und PCB in der Atemluft, Schimmel im Keller - viele Geisteswissenschaftler der Uni Erlangen sind derzeit verzweifelt. "Wegen Lebensgefahr geschlossen" steht über dem Eingang zu ihrem Institut.

Nur ein Teil des bröckelnden Betongebäudes in der Kochstraße wurde zum Semesterbeginn notdürftig saniert. Die meisten Politologen, Soziologen, Geographen, Historiker und Wirtschaftswissenschaftler konnten nicht in ihre Büros zurückkehren. "Wir müssen die Professoren in der ganzen Stadt suchen, wenn wir eine Frage haben", sagt Soziologiestudent Kai Padberg.

Einige arbeiten von zu Hause, andere haben sich im Keller oder in der Abstellkammer einer anderen Fakultät eingenistet - ohne Sekretärin, ohne Telefon, den meisten Mitarbeitern wurde frei gestellt, ob sie unter diesen Bedingungen lieber zu Hause bleiben. Auch die meisten Teilbibliotheken sind nach wie vor geschlossen, Studenten können sich für Prüfungen oder Referate kaum mit Literatur versorgen.

Eine Atomenergie-Firma macht Platz

"Der Universitätsleitung ist sehr bewusst, dass dies für die meisten von Ihnen ganz erhebliche Einschränkungen in der Arbeitsfähigkeit bedeutet", schrieben Kanzler und Präsident an die Mitarbeiter und baten um Verständnis für die "ebenso außergewöhnliche wie bisher einmalige Situation". Kanzler Thomas Schöck ist die Lage unangenehm.

Der Mietvertrag für ein Ausweichquartier im Erlanger Vorort Tennenlohe sei bereits unterschrieben, sagt er. Die Atomenergie-Firma Areva ist dort ausgezogen, 6000 Quadratmeter hat der Freistaat auf die Schnelle für die Universität gemietet. Innenminister Joachim Herrmann habe sich vor kurzem persönlich ein Bild von der Situation gemacht. Doch noch ist der Umzug nicht vollzogen, und selbst wenn die Kisten ausgepackt sind, gibt es bis auf Weiteres keine Telefone, kein W-Lan, mindestens noch bis Ende November.

"Die Probleme sind doch nicht neu", betont Kai Padberg von der Fachschaft Soziologie. Schon bei einer Konferenz vor drei Jahren habe es geheißen, mach' bloß nicht das Fenster auf, sonst fliegen die Scheiben raus. "Jetzt ist die Situation richtig prekär."

Verseuchte Luft im Philosophenturm

Betroffen sind nicht nur Sozialwissenschaftler in der Kochstraße, auch die benachbarten "Philosophentürme" sind nur eingeschränkt zugänglich. Dort droht das krebserregende PCB die Luft zu verseuchen. "Die Messungen aus dem Sommer waren nicht stichhaltig genug und müssen wiederholt werden", sagt Schöck, man habe allen Mitarbeitern angeboten, sich beim Betriebsarzt untersuchen zu lassen.

Und dann droht auch noch Asbest an verschiedenen Stellen. Der Audimax in der Bismarckstraße war deshalb ebenfalls gesperrt, wurde aber nach neuerlichen Messungen wieder frei gegeben. Doch Mitarbeiter bezweifeln, ob tatsächlich ausreichend Luftschleusen installiert wurden, die die Schadstoffe fernhalten. "Man kann nur hoffen, dass dank der undichten Fenster überall die Konzentration in der Atemluft zu gering war, um Schäden anzurichten", kommentierte einer die Nachricht von der Freigabe.

Am besten wäre es, die alten Kästen gleich abzureißen, meint Schöck. Ihre Lebensdauer sei ohnehin begrenzt, daher könne man nur das Notwendigste sanieren. Das Areva-Gebäude werden man halten als "Swinger" für weitere Notfälle.

Schöcks Traum ist eine neue, zentrale geisteswissenschaftliche Bibliothek nach dem Vorbild von Paris. Er wird diesen Traum in seiner Amtszeit nicht mehr erleben - im Dezember geht er in Ruhestand. Und, so gibt er zu, was sind all die schönen Leuchtturmprojekte, die Minister so gerne einweihen, wenn darunter die Substanz wegbröselt? "Der Bauunterhalt ist halt nicht das Lieblingskind der Politik".

Professor Kauffmann meint, die derzeitige Situation an seiner Fakultät "kommt einem Zusammenbruch der wissenschaftlichen Infrastruktur gleich." Mehrere Gastwissenschaftler aus Frankreich und Brasilien hätten ihren Aufenthalt abgebrochen und seien nach Hause zurückkehrt. Er selbst hat für seine Vorlesung vorübergehen Asyl bei den Medizinern gefunden, seine wichtigsten Unterlagen hat er im Keller des Nachbargebäudes gelagert - dort herrscht allerdings Schimmelgefahr. "Soviel zum Zustand der bayerischen Universitäten im Zeichen der Exzellenz", merkt er zerknirscht an.

Auch an der Universität Augsburg leiden Studenten und Lehrende unter den schlechten Rahmenbedingungen - allerdings sind diese, anders als in Erlangen, nicht potentiell gesundheitsgefährdend.

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SZ vom 31.10.2013
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