Süddeutsche Zeitung

Uni-Atlas:Die Uni Augsburg ist die Königin der Hybrid-Fächer

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Schon mal was von "Anwendungsorientierter Interkultureller Sprachwissenschaft" gehört? Die Universität Augsburg ist bekannt für ihre selbst kreierten Studiengänge. Doch erst einmal muss man sich im Campus-Labyrinth zurechtfinden.

Von Anne Kostrzewa, Augsburg

Die Viertelstunde Fahrzeit vom Hauptbahnhof zum Campus ist in Augsburg kein Problem: In den Trams gibt es kostenloses Wlan - eine gute Gelegenheit, sich die "CampusApp" herunterzuladen. Mit der von Augsburger Studenten entwickelte Anwendung navigiert man gekonnt über den Campus, der, gelinde gesagt, nicht besonders übersichtlich ist. Auch langjährige Uni-Mitarbeiter gehen in den verwinkelten Flur-Schläuchen der gut 20 Campus-Gebäude noch manchmal verloren. Wer zwischen Mensa und Ententeich ein Smalltalk-Thema sucht, liegt beim Stichwort Labyrinth immer richtig.

20 400 Studenten sind an der Uni Augsburg eingeschrieben. Sie verteilen sich auf etwa 80 Studiengänge, unter denen immer wieder neue interdisziplinäre Hybrid-Fächer aufploppen, die aus einzelnen Studiengängen zu einem neuen verknetet wurden. Anwendungsorientierte Interkulturelle Sprachwissenschaft oder Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sind solche Fächer, zum Wintersemester wird erstmals "Sozialwissenschaften: Konflikte in Politik und Gesellschaft" angeboten. Das passt zum Selbstverständnis der Reformuniversität, die seit ihrer Gründung eine enge Zusammenarbeit ihrer Forschungsbereiche anstrebt.

Kein Raum für Trödler

Für einzelne Orchideenfächer kann der Fächerverbund auch die Rettung sein, wie bei Kunst- und Kulturwissenschaften, kurz: KUK. Dahinter verstecken sich fünf Fächer, deren Schwerpunkte wohl mittlerweile aus dem Studienangebot verschwunden wären, hätte man sie nicht als KUK unter einem Dach vereint: Klassische Archäologie, Kunstgeschichte und Bildwissenschaft, Musikwissenschaft, außerdem Europäische Ethnologie und das außergewöhnliche Fach "Europäische Regionalgeschichte sowie Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte".

Das Zugpferd dieses Fachverbunds ist die Europäische Ethnologie, die ihr Forschungsgebiet direkt vor der Haustür ansiedelt: Momentan untersuchen die Studenten um Günther Kronenbitter die Migration in Augsburg. Dass sein Fach von KUK geschluckt wurde, sieht er positiv: "Wir machen damit im Bologna-System ein Schlupfloch auf." Während die Lehrpläne der Bachelor-Studiengänge viele Fächer gleichschalten, können KUK-Studenten innerhalb des Fachs ihre ganz individuelle Spezialisierung finden.

Eine der ältesten Fakultäten residiert auf dem Campus in einem der neuesten Gebäude, mit großen Fenstern, breiten Gängen, viel Holz. Erst vor zwei Jahren hat die Juristische Fakultät ihre letzten Büros aus den Gründungsbauten in der Innenstadt auf den Campus geholt. Die Juristen genießen in Rankings seit jeher einen guten Ruf, obwohl oder gerade weil ihr Grundstudium recht verschult ist und wenig Raum für Trödler lässt. Zu jeder Vorlesung gibt es eine Klausur. "Das bedeutet einen recht straffen Studienaufbau und erfordert kontinuierliches Lernen", sagt Fachdekan Matthias Kober. Für ihn liegt der Vorteil aber klar auf der Hand: "Die Studierenden bleiben am Ball, weshalb sie am Ende besser vorbereitet sind auf ihr Staatsexamen."

Die Juristen studieren noch hinter den Wirtschaftswissenschaften, auf der anderen Seite des Sees, an dem im Sommer Studenten in der Sonne liegen. Zurück zu den anderen Fakultäten geht es bergab, über die Brücke, vorbei am Foodtruck, den die Mensa als Außenstelle betreibt.

Er ist ein Überbleibsel aus der Renovierungszeit, als die Essensausgabe in ein stickiges Wiesnzelt hinter der Physik ausgelagert war. Der Foodtruck sollte den Studenten "auf dem Berg" den Weg auf die andere Seeseite ersparen - und ist mit seinem Angebot an Currywurst, Semmeln und Pommes so heiß geliebt, dass er stehen blieb. Die neue Mensa ist mittlerweile eingerichtet, an verschiedenen Stationen - wie vegetarisch, mediterran und bayrisch-schwäbisch - gibt es im wöchentlichen Wechsel jeweils ein Gericht.

Eine Besonderheit in Augsburg ist der Bachelor of Education, den jeder Lehramtsstudent ab dem fünften Semester zusätzlich zum Staatsexamen erwerben kann. Fachrichtung und Schulart sind ganz egal. "Wer sich nicht ganz sicher ist, ob er die nächsten 40 Jahre Lehrer sein will, hat damit mehr Optionen", sagt Gudrun Adomat von der Lehramtsberatung. Sie rät ihren Studenten meist zum Doppelabschluss, ein Mehraufwand sei der nämlich nicht: Die Examensarbeit wird parallel als Bachelorarbeit angerechnet.

In den Naturwissenschaften ist Augsburg besonders für seine Festkörperphysik und die Materialwissenschaften im Bereich der Carbontechnik bekannt. Aus Sicht von Siegfried Horn, Professor für Experimentalphysik, profitiert das Institut dabei auch von Kooperationen mit Firmen: "Wir geben der Industrie eine Hilfestellung und wissen ungekehrt, dass unser Know-How nachgefragt wird."

Über den im Bau befindlichen Innovationspark können sich Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen bald direkt am Campus ansiedeln. Das Technologiezentrum ist bereits eröffnet, auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist schon da. Weitere Gebäude - und mit ihnen namhafte Firmen und Institute - sollen folgen. Den ewigen Vergleich mit München müssen die Augsburger in der Wissenschaft nicht scheuen.

Und wenn das Thema doch mal wieder auf den Tisch kommt, kann Augsburg mit einem Trumpf aufwarten, den sonst wohl kaum eine Uni im Ärmel hat: Durch Bibliotheken, Hörsäle und Institutsgebäude stromert hier ein flauschiger, zutraulicher Campus-Kater. Offiziell wohnt er in der Nachbarschaft. Sein liebster Platz in der Stadt ist aber der Campus. Und viele Augsburger Studenten sehen das ganz genauso.

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SZ vom 16.06.2016
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