Süddeutsche Zeitung

Tierschutz:"Die Jäger dürfen die Art einfach weiter rücksichtslos dezimieren"

Lesezeit: 3 min

Von Christian Sebald

Mit gut einem Meter Körpergröße, einer Spannweite von fast zwei Metern und seinem mächtigen gelben Schnabel zählt der Graureiher zu den imposantesten heimischen Vogelarten in Bayern. Auf feuchten Wiesen an Flüssen, Baggerseen und Teichen kann man die Tiere bisweilen gut beobachten. Still stehen sie dort in ihrem grauen Federkleid und lauern auf Mäuse, Frösche und anderes Kleingetier. Haben sie eins entdeckt, stechen sie mit ihrem langen, spitzen Schnabel blitzschnell nach unten. Auch im Flug sind die Graureiher ein sehr eindrucksvoller Anblick, mit mächtigem Flügelschlag und eingezogenem Hals ziehen sie ihre Bahnen in der Luft.

Die Fischer können die Graureiher seit jeher nicht leiden. Denn mindestens so gerne wie Mäuse und Frösche fressen die Vögel Fische. "Damit richten sie großen Schaden in der Teichwirtschaft an", sagt ein Sprecher des Landesfischereiverbands. Wie groß der Schaden ist, weiß indes keiner so genau. Zumindest können weder die staatlichen Fischerei-Fachberater noch das Landwirtschaftsministerium, das auch für die Fischerei und die Jagd in Bayern zuständig ist, Zahlen nennen.

Die Naturschützer wiederum werfen den Jägern vor, dass sie den Graureihern rücksichtslos nachstellen und die Schreitvögel deshalb immer seltener werden in Bayern. Nach langem Drängen will man deshalb nun am Agrarministerium ermitteln, wie es um die Graureiher im Freistaat steht und bereitet ein Monitoring vor - das erste seit zehn Jahren. Dieser Tage wurde eine Projektstelle eingerichtet.

Fest steht: Es ist eher schlecht bestellt um den Graureiher. Das Landesamt für Umwelt (LfU) führt die Art seit 2016 auf der Vorwarnliste der Roten Liste. Das heißt, dass zwar die Art insgesamt in Bayern noch nicht gefährdet ist, aber die Zahl der Brutpaare dramatisch zurückgeht. Die Zahl der Graureiher wurde zuletzt 2008 erfasst. Damals ermittelte das LfU bayernweit 2128 Brutpaare. Das bedeutete einen Rückgang um 20 Prozent gegenüber der vorangegangenen Zählung 1995.

"Seit 2008 hat sich die Situation aber ganz sicher nicht gebessert", sagt Manfred Siering von der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern. "Denn die Abschusszahlen steigen von Jahr zu Jahr." 2013 erlegten die bayerischen Jäger 5599 Graureiher, 2014 waren es 5823, 2015 bereits 6082 und 2016 dann schon 6317. Die Differenz zwischen den Streckenzahlen und der Zahl der Brutpaare rührt daher, dass die Jäger viele Durchzügler aus Nordosteuropa auf deren Flug ins Winterquartier abschießen.

Der Graureiher ist die einzige Reiherart, die gejagt werden darf. Allerdings sind die Vögel in allen anderen Bundesländern ganzjährig geschont. Dort dürfen sie nur in ganz seltenen Ausnahmen getötet werden. Nur Bayern hat den strengen Schutz gelockert. Bereits 1983 hat der damalige Agrarminister Hans Eisenmann (CSU) per Verordnung die Schonzeit für Graureiher eingeschränkt. In einem Umkreis von 200 Metern um Fischteiche, Baggerseen und andere geschlossene Gewässer dürfen die Vögel zwischen dem 16. September und dem 31. Oktober eines jeden Jahres abgeschossen werden. Die Folgen lassen sich an den Abschusszahlen ablesen. Während 2013 in Nordrhein-Westfalen nur zwei Graureiher erlegt wurden, waren es im selben Jahr in Bayern eben jene 5599 Stück.

Für den Vogelexperten Siering ist die bisherige Praxis ein Skandal. "Keiner kann sagen, wie viele Graureiher wir hier bei uns im Freistaat überhaupt noch haben", sagt er. "Aber die Jäger dürfen die Art einfach weiter rücksichtslos dezimieren." Überhaupt gibt es für Siering und für andere Experten keinen ernsthaften Grund, warum die Jagd auf Graureiher in Bayern beibehalten werden sollte. "Ein jeder Teichwirt kann seine Fischteiche gegen Graureiher schützen", sagt Siering, "die Techniken dafür sind seit langem ausgereift."

Tatsächlich sagen auch Fischereifachberater, dass man kleine Fischteiche sehr gut mit Netzen überspannen könne, sodass kein Vogel von oben auf die Fische darin herabstoßen kann. Und größere Teiche schützt man ganz einfach durch einen niedrigen Drahtzaun. Denn so ein Graureiher stakst immer vom Ufer aus so einen Weiher hinein, ein Drahtzaun an dessen Ufer hält ihn davon ab. Nicht nur der technische Aufwand für den Schutz ist also eher gering. Sondern auch der finanzielle, zumal der Freistaat den Teichwirten Zuschüsse dafür bezahlt.

Siering fordert deshalb ein Aussetzen der Jagd auf die Graureiher - "zumindest bis wir wissen, wie es tatsächlich um die Art bestellt ist". Davon wollen die Fischer überhaupt nichts wissen. Zwar heißt der Landesfischereiverband die Bestrebungen ausdrücklich für gut, endlich zu ermitteln, wie viele Graureiher in Bayern leben. Aber im Gegensatz zu den Naturschützern glaubt er, dass es sehr viele sind. "Deshalb lehnen wir eine vorläufige Aussetzung der Jagd nachdrücklich ab", sagt ein Sprecher. Der Landesbund für Vogelschutz wiederum verlangt, dass das Monitoring schnell vorankommt. Deshalb hat er dem Agrarministerium angeboten, es für den Freistaat zu übernehmen.

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SZ vom 03.02.2018
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