Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Schauplätze, Folge 10:Schatzsuche in der Baugrube

Lesezeit: 3 min

Heute gilt der Straubinger Römerschatz als einer der bedeutendsten Funde dieser Art. Als Arbeiter im Oktober 1950 einen Kupferkessel finden, ahnen sie nicht, dass er römische Paraderüstungen, Götterstatuetten und Waffen birgt. Entsprechend unprofessionell wird er ausgegraben

Von Katharina Schmid, Straubing

Nach Norden hin eine Garagenreihe, Beton, weiße Metalltore. Im Süden gelbe Wohnblöcke aus den Fünfzigerjahren. Westlich ein kleiner Grünstreifen, nach Osten noch mehr Fertiggaragen. Ein Ort, der unscheinbarer kaum sein könnte. Hans Vicari, 79 Jahre, rahmenlose Brille, Hut, steht auf dem Pflaster aus grauen Betonsteinen, deutet auf einen Kanaldeckel. "Da haben sie damals die Kläranlage ausgehoben. Zehn mal zehn Meter war die Grube hier vielleicht groß", sagt er. "Und da ungefähr muss der Schatz gewesen sein." Jener Schatz, der Straubing oder besser Sorviodurum, zu weltweiter Prominenz verholfen hat: der Straubinger Römerschatz, die größte Sammlung römischer Paraderüstungen, die je auf einmal gefunden wurde.

Hans Vicari ist ein alteingesessener Straubinger. Er ist hier geboren und aufgewachsen, hat zuerst in der Volks-, dann in der Gehörlosenschule unterrichtet, war stellvertretender Bürgermeister, und kennt sich aus in der Geschichte Straubings, des einstigen römischen Kastellorts Sorviodurum. Zahlreiche seiner Publikationen belegen das. Schon als Kind war Vicari interessiert an Heimatkunde und hörte fasziniert den Worten seines Lehrers zu, als dieser im Herbst 1950 seiner 65-köpfigen Volksschulklasse von einem außerordentlichen Fund erzählte. Bei Aushubarbeiten für eine Kläranlage in einem Neubaugebiet in Alburg, das heute zu Straubing gehört, waren Bauarbeiter am 27. Oktober des Jahres, einem Freitag, auf einen Gegenstand aus Kupfer gestoßen: "In unbezwinglicher Neugierde, was wohl in dem Kessel enthalten sei, schlug man mit der Spitzhacke ein Loch hinein, und als man Bronzegegenstände darin erspähte, holte man eine Blechschere und erweiterte die Öffnung. Dann wurde fast der ganze Inhalt des Kessels herausgezerrt, wobei natürlich viele und zum Teil recht empfindliche Beschädigungen an den Gegenständen angerichtet wurden", beschreibt Josef Keim, der damalige Leiter des Historischen Vereins, in seinem Fundbericht recht anschaulich, wie es auf der Baustelle zuging. Erst, als schon ein Großteil des Fundes in einem Korb beim damaligen Bauunternehmer lag, wurde ein Archäologe verständigt, der sich darum kümmerte, dass wenigstens der Rest des Schatzes ordentlich geborgen wurde. "Aus heutiger Sicht hat man alles falsch gemacht", sagt Günther Moosbauer, Professor für provinzialrömische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiter des Straubinger Gäubodenmuseums.

Hans Vicari erinnert sich gut an die Fundtage. Noch am Nachmittag desselben Tages, an dem sein Lehrer von dem Schatz erzählt hatte, schwang sich der damals zwölfjährige Bub auf sein Fahrrad und fuhr über die holprige Kiesstraße hinaus nach Alburg. Frisch war es in den letzten Oktobertagen des Jahres 1950, und als der Bub am Fundort in Alburg ankam, einer Grube neben ein paar Häusern im Rohbau, wurde er erst einmal versprengt. "Schau, dass du weiter kommst", habe es geheißen. "Aber ich hab mich so leicht nicht vertreiben lassen", erinnert sich Vicari. Mehrere Tage lang fuhr er zur Baustelle hinaus und als die Lokalzeitung über den Fund berichtet hatte, kamen immer mehr Leute. Zum Schauen und Suchen. Mit einem Holzstecken stocherte der zwölfjährige Hans im Dreck, in der Hoffnung "noch was zu finden von dem Schatz". Gefunden hat er nichts. Andere Straubinger schon, wie vermutet wird. Mehrere Sockel ohne die dazugehörigen Statuetten sind heute in Besitz des Gäubodenmuseums; es wird vermutet, dass die Götterfiguren vielleicht noch auf dem Dachboden des einen oder anderen Straubinger Hauses liegen.

Wer den Schatz Mitte des dritten Jahrhunderts nach Christus vergraben hat, das ist bis heute nicht restlos geklärt. Möglicherweise könnte ein findiger Römer den Kessel samt Inhalt in der Nähe eines römischen Landhauses vergraben haben, um ihn vor den einfallenden Alemannen zu verstecken. Als wahrscheinlicher jedoch gilt die Theorie, dass plündernde Germanen ihre Beute am Fundort eingegraben haben, um sie für eine Weile dort zu verwahren. Sieben bronzene, teilweise vergoldete Gesichtsmasken von Paradehelmen hellenistischer und orientalischer Art lagen in dem Kupferkessel, kunstvoll verzierte Beinschienen und Rossstirne, fein gearbeitete Götterstatuetten, allerlei Werkzeug und Waffen. Vieles besonders gut erhalten, weil der Kessel umgestürzt vergraben worden war, um die Gegenstände vor dem Druck der Erde zu schützen.

Günther Moosbauer ist verantwortlich für die heutige Präsentation des Römerschatzes, der im Straubinger Gäubodenmuseum neben vielen anderen Ausgrabungsfunden aus der Gegend zu bewundern ist: "Wenn man den Schatz im Gesamten betrachtet, ist er unbezahlbar." Er habe sowohl Rückschlüsse auf die Wirtschafts- wie auch auf die Mentalitätsgeschichte der Römer zugelassen. So deute beispielsweise die Abbildung der Minerva, die auf mehreren Gegenständen genau gleich gearbeitet ist, darauf hin, dass wandernde Handwerkertruppen von Kastell zu Kastell zogen und vermutlich nach Mustern die gewünschten Rüstungsteile anfertigten.

Wie bedeutend der Fund vom 27. Oktober 1950 war, dürfte den meisten Straubingern erst Jahre später bewusst geworden sein. In den Nachkriegsjahren sei das Interesse an dem "alten Zeug" gering gewesen, erinnert sich Vicari. "Damals hatte man andere Sorgen und Nöte." Seine Mutter habe ihn jeden Tag wieder ausgeschimpft, als er mit dreckigen Schuhen vom Fundort zurückgekommen sei. Schließlich musste er mit denselben Schuhen am nächsten Tag wieder in die Schule und da hatten sie sauber zu sein.

Es sei eine andere Zeit gewesen, sagt Vicari, als er 67 Jahre später am Fundort von damals über den Parkplatz schaut. Nichts erinnert an den Fund von 1950, deshalb wünscht er sich eines ganz dringlich: "Da gehört ein Taferl her!" Ein Hinweisschild am Fundort des Schatzes würde gut tun. Heute wissen nicht einmal die Anwohner des Alburger Hochwegs, mit denen Vicari auf dem Parkplatz spricht, über welchen Schauplatz bayerischer Geschichte sie hier tagtäglich laufen.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2017
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