Süddeutsche Zeitung

SZ-Kuckuck in Bosnien:Der Wundervogel

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In Bosnien-Herzegowina, wo Käpt'n Kuck gerade Station macht, ranken sich allerlei sagenhafte Geschichten um den Kuckuck. Sein Ruf hilft angeblich gegen Schlangen und Rückenschmerzen - kann aber auch todbringend sein.

Von Florian Hassel, Belgrad

Es ist eine nicht ganz risikofreie Region, dieses Bosnien-Herzegowina, die sich Käpt'n Kuck als Zwischenstopp auf seinem Weg ins Winterquartier in Afrika ausgesucht hat. Gewiss, weder im Städtchen Kotor Varoš noch in anderen Gegenden Bosniens wird zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Krieges Anfang der 1990er-Jahre noch gekämpft. Als flinker Vogel wird der SZ-Kuckuck auch kaum auf eine noch aus Kriegszeiten in Wäldern und manchen Feldern schlummernde Mine treten.

Und da er sich als Kuckuck deutlich von einer Wachtel oder einer Taube unterscheidet, läuft er auch keine Gefahr, gebraten (Wachtel) oder als Suppe (Taube) auf den Tisch zu kommen, so wie es in manch serbischer Familie bis heute üblich ist - Kotor Varoš gehört zur vor allem von Serben bewohnten Republika Srpska, einem von zwei Teilen Bosnien-Herzegowinas.

Auch die Tatsache, dass Käpt'n Kuck sich nun schon seit mehr als einer Woche in und um Kotor Varoš herumtreibt, spricht dafür, dass noch niemand versucht hat, ihm eine Ladung Schrot aufs Federkleid zu brennen. Vielleicht liegt dies aber nur daran, dass er sich nicht im Städtchen selbst, sondern in den Wäldern und Bergen in der Nähe aufhält.

Ein Garant für Wohlstand

Gewiss, wäre der SZ-Kuckuck schon im Frühling am Ort gewesen, hätte er ohnehin nichts zu befürchten. "Wer einen Kuckuck im Frühling hört und sich sofort im Gras wälzt, befreit sich von Rückenschmerzen - und beugt ihnen sogar bis auf Weiteres vor", schildert die Belgrader Sprachwissenschaftlerin Ana Petrović einen alten Volksglauben. Auch eine andere mögliche Folge einer frühlingshaften Begegnung mit einem Kuckuck würden die Menschen eindeutig als Plus verbuchen: "Wer zum ersten Mal im neuen Jahr einen Kuckuck hört und sofort seinen Namen laut herausschreit, um den machen Schlangen einen weiten Bogen, und zwar so weit, wie der Ruf zu hören war" - kein geringer Standortvorteil im in weiten Teilen ländlich-unberührten Bosnien. Mehr noch: Wer einen Kuckuck hört, gerade ein wohl gefülltes Portemonnaie zur Hand hat und umgehend danach greift, dessen Geldbörse wird auch den Rest des Jahres niemals Ebbe melden.

Diese Glücksbringerzeit hat Käpt'n Kuck freilich verpasst. Dass der SZKuckuck ausgerechnet den Juni wählte, um in den serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas einzufliegen, war indes womöglich auch kein Zufall: Am 28. Juni begehen die Serben den Jahrestag einer von ihnen anno 1389 angeblich heldenhaft verlorenen Schlacht auf dem Amselfeld in Kosovo: Kuckucke trauern mit ihrem Ruf angeblich um die damals gefallenen serbischen Helden. Ihre Tränen sollen magische Kräfte haben.

Trotzdem werden längst nicht alle Serben und andere in Bosnien-Herzegowina lebenden Völker Käpt'n Kuck freudig aufgenommen haben. Nicht nur bei Bosniaken, den in Bosnien lebenden Muslimen, ist der Volksglaube verbreitet, dass in einem Haus, auf das sich ein Kuckuck setzt, bald jemand sterben muss. "In meiner Familie wird bis heute erzählt, dass meinem Großvater vor fast einem halben Jahrhundert mehrere Tage ein Kuckuck folgte - bis er bei einem Arbeitsunfall ums Leben kam", sagt Jovana Lazarević aus Čačak im Süden Serbiens.

Serben kennen zudem Märchen wie die von den neun Schwestern, die so traurig über den Tod ihres Bruders waren, dass sie Gott baten, sie in Kuckucke zu verwandeln - aber nach Erfüllung ihrer Bitte niemals aufhören konnten zu trauern, sondern mit ihren Kuckucksrufen immer weiter um den Bruder weinten. Und schließlich ist die Reputation des Kuckucks auch in anderer Hinsicht angekratzt: "Kukavica" bedeutet nicht nur "Kuckuck", sondern auch "Feigling". Ein Vorwurf, den man dem SZ-Kuckuck angesichts einer wahrscheinlichen Reisestrecke von etlichen tausend Kilometern bis ins südliche Afrika allerdings kaum machen kann.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2014
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