Süddeutsche Zeitung

Straubing:Der Gäubodenkönig

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Der Name Wenisch ist eine Institution in Straubing, seit 36 Jahren ist Anton Wenisch Festwirt auf dem Volksfest. Über einen Familienbetrieb, der mit der kleinen Metzgerei eines sudetendeutschen Flüchtlings begann.

Von Simone Kamhuber

Seine Majestät schlendert durchs Zelt. An jeder zweiten Bierbank bleibt Anton Wenisch, 67, für einen Händedruck, ein kurzes "Servus" stehen. Sein Thron ist der Stammtisch, das Biermarkerl die Währung seines Reiches. Über Jahrzehnte hat sich der Festwirt in Straubing einen Namen gemacht: ein Bauernhof, eine Metzgerei, das Vier-Sterne-Hotel mit Gasthaus inmitten der Stadt. Alles, was er dabei gelernt hat, ist zur fünften Jahreszeit in der "Genussarena" vereint. So heißt das Wenisch-Zelt, das seit 36 Jahren genauso zum Gäubodenvolksfest gehört wie der Duft von gebrannten Mandeln.

"Diese Tage sind der Höhepunkt unseres Jahres", sagt Wenisch und lässt sich auf einer Bank am Rande des Biergartens nieder. Bei ihnen sei es nicht wie auf der Wiesn, "wo der Wirt das Zelt fertig aufbauen lässt und dann nur noch ein Bild des Großvaters drinnen aufhängt". Wenisch packt nach wie vor selbst mit an. Das ganze Jahr ist in die Zeit vor oder nach dem Gäuboden eingeteilt: Verträge mit Musikern unterschreiben, Bedienungen engagieren, Aufbau, Abbau - und wieder von vorne. 5200 Gäste finden im Festzelt Platz. "Zu wenig", klagt Wenisch. "An einem guten Samstag müssen wir das Zelt sperren." Mehr als 10 000 Essen gehen täglich über den Tresen, 109 Bedienungen schleppen rund 150 Hektoliter Bier an die Tische.

In der Dämmerung verstreuen die Fahrgeschäfte ihr schummriges Licht über den Festplatz. Warum sitzt der Festwirt ausgerechnet zur Stoßzeit so tiefenentspannt im Biergarten? Vor 20 Jahren stemmten Anton Wenisch und seine Frau Waltraud die Organisation noch alleine. Inzwischen haben sie die Verantwortung fürs Geschäft auch auf die Schultern ihrer drei Söhne verteilt. Toni, der Küchenchef oder die "gastronomische Vollgranate", wie ihn sein Vater nennt. Stefan ist Metzgermeister, und Christoph ist Spezialist im Service. Auch die Schwiegertöchter helfen mit. "Bei uns greift alles wie ein Zahnrad ineinander", sagt Anton Wenisch und verschränkt dabei seine Finger. Geht das gut, wenn Familie und Geschäft so eng miteinander verbandelt sind? "Ja, und das macht uns wahnsinnig stolz", sagt der Festwirt. Fast alles, was auf dem Teller landet, kommt aus der Wenisch-Metzgerei. Draußen vor dem Biergarten schmort stundenlang der Ochse vom eigenen Hof - die Spezialität. "Mithalten mit Discounterpreisen, das können und wollen wir nicht", sagt Wenisch.

"Ich mag diese Frau noch so gern wie am ersten Tag"

Seine Frau Waltraud durchschreitet den Biergarten im Laufschritt, begrüßt links und rechts bekannte Gesichter. Sie ist die Festwirtin, und ja, auch die Königin dieses Zelts. "Ohne sie wäre ich nicht der, der ich heute bin", sagt Anton Wenisch. Seit 31 Jahren sind sie verheiratet, kennengelernt haben sie sich beim Skifahren in Österreich. "Ich mag diese Frau noch so gern wie am ersten Tag", schwärmt er. Waltraud Wenisch ist zuständig für die Reservierungen, das Personal, und sie ist die "Finanzministerin", wie ihr Mann sie betitelt. Sie lebt während der Volksfestzeit bis zu 18 Stunden am Tag im Zeltgetümmel und behält den Überblick. "Dass das hier alles läuft", sie breitet die Arme aus "das ist eine Familienleistung".

Und die erstreckt sich über Generationen. Die Gastronomie-Ära begann bei Anton Wenisch senior. "Das Geld war früher sehr knapp bei uns", sagt Wenisch Junior über seine Straubinger Kindheit. "Meine Mutter hat uns mit drei Mark ins Kino geschickt. Wenn die Karte 2,50 Mark gekostet hat, mussten wir den Rest wieder abtreten." Das ist lange her.

Vergessen will Anton Wenisch die Hingabe seiner Eltern trotzdem nicht. Er holt tief Luft. "Mein Vater kam als sudetendeutscher Flüchtling in die Region. 1952 gründete er eine kleine Metzgerei in Geiselhöring. Seit 1961 gibt es unser Hotel." 1985 erhielten Vater und Sohn den Zuschlag für das vormalige Edenhofer-Zelt am Gäuboden. Damals noch mit 3000 Sitzplätzen. "Er hat immer wieder sehr waghalsige Investitionen getätigt", sagt Waltraud Wenisch heute über ihren Mann. "Wie knapp das finanziell manchmal war, habe ich für mich behalten, damit er es trotzdem macht", sagt die Finanzministerin.

Dafür, dass er ein Weißbierkarussell in die Zeltwand integriert habe, sei er vor der Jahrtausendwende verlacht worden, sagt Wenisch. Heute ist es randvoll mit Besuchern in Dirndl und Lederhosen, die sich freuen, dass sich die Welt nach zwei Jahren ohne Volksfest wieder weiterdreht. "Du brauchst ein glückliches Händchen für solche Ideen. Und eine Partnerin, die zu dir steht."

Heute ist Stammvater Wenisch senior 96 Jahre alt. Allmählich übergibt die zweite Generation das Zelt in die Hände der dritten. Auch deswegen kann der Festwirt so entspannt über die Vergangenheit sinnieren: Er weiß, der Zapfhahn läuft inzwischen ohne ihn. "Die Gastronomie ist kein Zuckerschlecken. Das musst du lieben oder lassen", sagt er. "Meine Söhne sehen es als Berufung." Blieb ihnen etwas anderes übrig? "Bei der Frage muss ich aufpassen, dass mir die Emotion nicht hochkommt." Er hält inne, die Augen glasig. Es sei seinen Kindern immer freigestanden, einen anderen Weg einzuschlagen. Sie seien zwischen Blasmusik und Ochsenspieß aufgewachsen. Als sie noch nicht laufen konnten, sind sie im Leiterwagen durch das Zelt gezogen worden. Auf eigenen zwei Beinen klapperten die Knirpse dann die Reihen ab, um die Gäste zu begrüßen. So sei jeder in die Volksfestwelt hineingewachsen.

"Alles im Leben hat seine Zeit. Man muss auch wissen, wie alt man ist." Kleine Weisheiten flickt Wenisch gerne ins Gespräch ein. Er steht nach wie vor um halb fünf auf, geht in die Metzgerei, immer schon zehn Minuten zu früh. Zeitdruck könne er nicht leiden. "Ich bin ein Mensch, der gern aufsteht. Am Abend bin ich dann zu nichts mehr zu gebrauchen." Leiter des Betriebs ist inzwischen Sohn Stefan, einst bester Jungmetzger Deutschlands. Auf seinem Platz in zweiter Reihe fühlt sich der Vater wohl.

"Die Prämisse ist, dass das hier ein Volks-Fest bleibt."

Als das Gäubodenvolksfest in den letzten beiden Jahren nicht stattfand, habe er sich manchmal unter Kastanienbäume gesetzt, die das Festgelände säumen. "Welcher Arbeitsschritt stünde heute an?", habe er sich gefragt. So authentisch, wie er es sagt, klingt es fast nicht mehr kitschig. Bis zu 1,4 Millionen Menschen besuchen das zweitgrößte Volksfest Bayerns oder " das Volksfest Niederbayerns", wie Wenisch es nennt. Er beschreibt es wie die bodenständige kleine Schwester der Wiesn. "Die Prämisse ist, dass das hier ein Volks-Fest bleibt", was bedeutet, es müsse für das Volk erschwinglich bleiben und nicht nur für ein internationales Weltpublikum auf Wochenendtrip.

Besonders stolz umwirbt der Festwirt - abgesehen vom Ochsen - "Toni's Grüne Bowl": Mit Zupfsalat, Erbsenguacamole und Edamame - nicht zu verwechseln mit Edamer. "Gemüse-Metzgerei" heißt es da auf der Speisekarte. "Lustig oder?", witzelt der Anton Wenisch, der kurz zuvor gesagt hat: "Wir Wenischs, wir kommen aus der Fleischmetzgerei." Wichtig sei eben auch, innovativ zu sein, ohne sich jeden Tag neu erfinden zu wollen, sagt Küchenchef Toni. Dessen Sohn hüpft auch schon zwischen den Bierbänken herum und begrüßt die Gäste.

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