Süddeutsche Zeitung

Kanzlerkandidatur in der Union:Söder und das Shining

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Seit Tagen diskutiert die Redaktion, ob, wann und vor allem um wie viel Uhr der Kanzlerkandidat ausgerufen wird. Unser Autor hat schon einst bei der Papstwahl über seherische Kräfte verfügt - und bereitet sich auf alles vor.

Glosse von Sebastian Beck

Am Abend des 19. April 2005 versammelte sich die Bayernredaktion vor dem Fernseher, um den Ausgang der Papstwahl mitzuverfolgen. Der damalige Redaktionsleiter Sebastian B. verfügte über seherische Kräfte, gemeinhin auch "Shining" genannt. Er sprach also zu den Seinen: "Ihr werdet euch noch wundern. Der Ratzi wird's." Doch das Volk glaubte den Worten nicht und trieb allerlei Schabernack mit dem neuen Chef, der sich bloß mordsmäßig aufmandln wolle. Dann aber trat Josephus Ratzinger auf den Balkon des Petersdoms und Angst und Schrecken und Feuerzungen fuhren in die Ungläubigen, denn es waren nur noch wenige Minuten bis zum Redaktionsschluss.

Sechzehn Jahre danach prophezeit der teilergraute Redaktionsleiter B. den Seinen abermals: "Der wird's." Das macht das Volk frösteln. Es will wissen: "Alter, wann genau? Womöglich wieder zu einer saublöden Uhrzeit? Wer hat da Dienst? Und wer schreibt dann den Aufmacher?" Leider ist das Shining bis Freitagnachmittag zu ungenau, um auf solche Fragen Auskunft geben zu können. Es raunt nur: "Bald! Bald! Bald!"

Die Redaktion plagt sich deshalb schon seit Tagen mit diversen Söder-Szenarien herum. Für den Fall, dass Söder an diesem Wochenende nach Veröffentlichung der Kolumne einen Rückzieher macht, kündigt der Autor schon mal an, dass er nie wieder prophetische Zeilen schreiben wird. Falls Söder aber an diesem Wochenende nach Veröffentlichung der Kolumne als Kanzlerkandidat antritt, sei hier schon mal angekündigt, dass der Verfasser sein Shining befragen wird, wer als nächster Bayerntrainer infrage kommt. Falls das auch klappt, könnte er sich an eine Prognose zum Aufstieg der Sechzger in die 2. Bundesliga wagen.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass nach Veröffentlichung der Kolumne überhaupt nichts passiert, sei hier die Bitte formuliert: Es wäre schön, wenn Söder am Montag, 19. April, vor die Presse treten könnte. Es muss ja nicht der Balkon des Petersdoms sein, die Stufen der Walhalla reichen völlig. Gut wäre 13.30 Uhr, da ist Konferenzpause und der Hunger gestillt. Zufriedene Journalisten kommentieren freundlicher als Leute, die man nachts rausklingelt. Aber wenn es anders kommt, ist es letztlich auch wurscht.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2021
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