Süddeutsche Zeitung

Skandal um Bayern-Ei:Das ahnungslose Ministerium

Lesezeit: 4 min

Von Philipp Grüll und Frederik Obermaier, München

Sie hat sich früh festgelegt. Die Bayern-Ei-Affäre war erst wenige Tage publik, da verkündete Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf bereits: Alles sei gut. Ihre Leute hätten hervorragend gearbeitet, die Kontrollen hätten funktioniert, für die Bevölkerung - zumindest die bayerische - habe keine Gefahr bestanden. Dabei waren europaweit Hunderte Menschen erkrankt, mindestens zwei Männer tot. Und die Spur führte nach Bayern, zum größten Eierproduzenten im Freistaat: der Firma Bayern-Ei. Die CSU-Ministerin aber beharrte: Alles bestens. Nun könnte das für sie politisch gefährlich werden.

An diesem Mittwoch tritt der Umweltausschuss des bayerischen Landtags zu einer Sondersitzung zusammen. Freie Wähler, die Grünen und die SPD haben diese gegen den Willen der CSU durchgesetzt. Es geht um allerlei Ungereimtheiten, voreilige Festlegungen und falsche Auskünfte. Vor allem aber geht es um die Frage, wie ahnungslos eine Ministerin sein darf.

Erst vergangene Woche hatte Scharf eingestehen müssen, dass ihre Auskunft, wonach es in Bayern keine Käfigeier im Handel gebe, falsch war. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten, wie es überhaupt zu der Aussage kommen konnte: Entweder die Ministerin wurde von ihren Leuten nicht informiert. Oder aber: Sie wurde informiert und hat der Öffentlichkeit dennoch etwas anderes erzählt - was das Ministerium bestreitet. Keine der beiden Varianten lässt jedenfalls die Ministerin und ihr Haus besonders gut dastehen.

Noch Mitte Juni hatte Scharf die Opposition belehrt, dass es im Verbraucherschutz eine besondere Verantwortung gebe. Dazu gehöre, Fakten richtig darzustellen und zu deuten. Was sie damit sagen wollte, war klar: Die Opposition habe dies nicht getan. 13 Tage später musste sie einen Sprecher mitteilen lassen, dass sie es selbst mit den Fakten nicht so genau genommen hatte. Ihre Aussage, in Bayern würden keine Käfigeier verkauft, sei falsch - oder wie es ihr Sprecher verklausulierte: bedürfe "der Einschränkung und Präzisierung".

Eine fragwürdige Argumentation

Damit gerät Scharfs gesamte Darstellung in der Bayern-Ei-Affäre ins Wanken. Kurz gefasst lautet die: Da in Bayern keine Käfigeier und damit auch keine Bayern-Ei-Eier im Umlauf waren, habe keine Gefahr für die Bevölkerung bestanden. Deshalb habe man auch niemanden warnen müssen, als bei Bayern-Ei mehrmals Salmonellen gefunden wurden, ein Stallbursche an Salmonellose erkrankte - und ausländische Experten längst vor Eiern der Firma warnten.

Es ist eine fragwürdige Argumentation - in vielerlei Hinsicht. Zum einen waren womöglich salmonellenverseuchte Eier nur deswegen nicht mehr im Handel, weil die Behörden teilweise mehr als vier Wochen für Salmonellentests brauchten. Vier Wochen beträgt die Mindesthaltbarkeitszeit von Eiern. Als die Testergebnisse vorlagen, waren die Eier also nur deshalb nicht mehr im Umlauf, weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen und die Mehrzahl der Eier wohl längst aufgegessen war.

Und dann gibt es da ja auch noch jenen Salmonellenfund vom August 2014 im Ettlinger Hof von Bayern-Ei. Wenn Eier zu dieser Zeit ausgeliefert wurden, waren sie mit einiger Wahrscheinlichkeit salmonellenverseucht. Warum hat das Ministerium sie nicht zurückgeholt? Ministerin Scharf und das zuständige Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) begründen dies damit, dass in Ettling damals nur noch "B-Eier", also Eier für die Industrieproduktion, ausgeliefert worden seien. Die Aussage beruht jedoch allein auf Angaben der Firma Bayern-Ei - dem Unternehmen, das seit 2013 bei den vorgeschriebenen Eigenkontrollen am Hof in Ettling nie Salmonellen fand, während die Bakterien im selben Zeitraum bei mindestens drei amtlichen Kontrollen nachgewiesen wurden.

Angaben von Bayern-Ei wurden offenbar nicht geprüft

Das Ministerium jedenfalls verließ sich auf die Angaben von Bayern-Ei und informierte die europäischen Partnerbehörden, dass seit 29. Juni 2014 keine A-Eier - also Eier für Supermärkte - mehr aus Ettling ausgeliefert worden seien. Auf eine Anfrage der SPD-Abgeordneten Diana Stachowitz hingegen antwortete das Ministerium, in Ettling seien ab 13. August 2014 keine A-Eier mehr ausgeliefert worden. Zwischen beiden Terminen liegen 45 Tage. Der SZ wiederum teilte das LGL mit, dass man nicht genau sagen könne, ab wann nur noch B-Eier den Betrieb verlassen hatten. Drei verschiedene Antworten also. Das Ministerium äußerte sich bis Dienstagmittag auf Anfrage nicht dazu.

Offenbar hatten die Behörden nicht einmal überprüft, ob die Angaben von Bayern-Ei stimmten. Dennoch verkündete Scharf im Landtag, Bayern-Ei-Eier der Klasse A seien in Bayern nicht in den Handel gelangt und Verbraucher nicht gefährdet gewesen. Ersteres ist falsch. Und ob tatsächlich keine Gefährdung vorlag, können die Behörden in Wahrheit nicht ausschließen.

So bekommt die gesamte Darstellung der Ministerin von Tag zu Tag mehr Risse. In ihrem Ministerium, so erzählen es ihre Mitarbeiter, fragt man sich längst, ob es wirklich schlau war, zu behaupten, alles sei gut gelaufen - bevor man überhaupt geprüft hatte, ob das wirklich der Fall war.

Scharf war zum Beginn der Bayern-Ei-Affäre eigentlich in einer vorteilhaften Lage: Im Sommer 2014 nämlich war noch Marcel Huber Verbraucherschutzminister. Viele Versäumnisse hätte also er zu verantworten - etwa, dass Bayerns Behörden wichtige Informationen erst mit mehreren Wochen Verspätung an ihre Kollegen im Ausland weitergeleitet haben, dass die Öffentlichkeit nicht gewarnt und die Staatsanwaltschaft nicht eingeschaltet wurde, selbst als längst klar war, dass zwei Männer mutmaßlich durch verseuchte Bayern-Ei-Eier ums Leben gekommen waren.

Stattdessen aber verkündete Scharf: "Die Behörden haben ihren Job gemacht, sie machen ihren Job, und sie machen ihren Job gut." Damit hat sie die Probleme ihres Vorgängers zu den ihren gemacht.

Der SPD-Verbraucherschutzexperte Florian von Brunn reichte am Dienstag offiziell Beschwerde über das Verhalten der Ministerin bei Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) ein. Brunn wirft Scharf vor, eine parlamentarische Anfrage der SPD nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von vier Wochen beantwortet zu haben. Es müsse "endlich die ganze Wahrheit auf den Tisch", sagte Brunn.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2015
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