Süddeutsche Zeitung

Sizzla am Chiemsee:Ein paar Zeilen Hass

Lesezeit: 2 min

Eigentlich verspricht das Reggae-Festival eine entspannte Feier mit guter Musik. Doch der geplante Auftritt des Skandal-Musikers Sizzla sorgt für Ärger - und ruft die Politik auf den Plan.

Jannis Brühl

Reggae am Chiemsee. Das klingt eigentlich nach einer entspannten Feier. Doch die Veranstalter des "Chiemsee Reggae Summer"-Festivals vom 27. bis zum 29. August in Übersee müssen sich anhören, sie böten einem "Hasssänger" ein Forum - und kontern, sie seien Opfer einer "völlig unverhältnismäßigen Hetzkampagne, mit der eine Lobby ein ganzes Genre diskreditiert". Auslöser des Streits ist die Einladung des jamaikanischen Sängers Sizzla. Einige seiner Texte sind offen schwulenfeindlich. Kostproben: "Feuer für Männer, die auf Männern reiten" und "Tod den Sodomiten und Schwuchteln".

Auf Sizzla angesprochen, reagiert Festivalsprecher Michael Buchholz genervt. Er muss eine Großveranstaltung organisieren und sich dabei ständig für den Sänger rechtfertigen. Die Traunsteiner Grünen und die Landtagsfraktion rufen zum Boykott auf, Münchner Stadträte und der Kreisjugendring fordern, den Auftritt abzusagen. Und dann ist da noch Volker Beck, grüner Bundestagsabgeordneter, der seit Jahren versucht, Auftritte wie diesen zu verhindern.

Sizzla ist Vertreter des Dancehall, der tanzbaren, aggressiven Spielart des Reggae. In den Texten geht es um Spiritualität, Politik - aber auch ums Vulgäre, slackness genannt. Diese Attitüde speist sich aus der Gangsterkultur des bitterarmen Jamaika, Sänger erzählen von Gewalt und Sex - selbstverständlich nur mit Frauen. Denn Homosexuelle werden geschmäht und für vogelfrei erklärt. Laut Menschenrechtsgruppen gibt es einen Zusammenhang zwischen den Liedern und den häufigen Angriffen auf Schwule in dem Karibikstaat.

Bereits umgehend nach der Verpflichtung Sizzlas im Mai distanzierte sich die Festivalleitung in einem Statement von Schwulenfeindlichkeit - ein Präventivschlag. Schließlich ist Ärger bei Auftritten des Rastafaris programmiert: Im November 2009 sagte ein Berliner Veranstalter ein Konzert auf Druck schwuler Aktivisten ab. Im Münchner Backstage sang er dagegen trotz Protesten. Rabiat wurden seine Gegner in Wuppertal: Sie schütteten Buttersäure in die Lüftung eines Clubs, Sizzla musste im Gestank fauler Eier auftreten.

Während die Veranstalter des "Chiemsee Reggae Summer" auf die Kunstfreiheit verweisen, versucht Grünen-Politiker Beck auf Firmen einzuwirken, die das Festival unterstützen. Die Deutsche Bahn habe nach seiner Anfrage kurzzeitig erwogen, ihre Zusammenarbeit aufzukündigen, bestätigt ein Bahnsprecher. Das Unternehmen hält nun aber daran fest: Besucher können die Eintrittskarte wie geplant als Fahrticket nutzen.

Volker Beck ist enttäuscht, dass die Brauerei Beck's und das soziale Netzwerk StudiVZ sich zwar von Homophobie distanzieren, an ihrem Sponsoring für das Festival aber festhalten. Beide Firmen würden "einem Schwulenhasser die Bühne bereiten - auch wenn er verspricht, diesmal nicht zum Mord aufzurufen", sagt Beck.

Denn die beanstandeten Texte werden am Chiemsee laut Veranstalter nicht zu hören sein. Mit Sizzlas Management gebe es eine Vereinbarung über "sämtliche homophoben Äußerungen", sagt Sprecher Buchholz. Und wenn Sizzla auf der Bühne doch hetzt? Dann sei der Auftritt beendet: "Da wird jemand dazwischengehen." So weit werde es aber nicht kommen, weil Sizzla für die nächste Tour kein Einreiseverbot riskieren wolle, sagt Buchholz: "Der ist ja kein Idiot."

Die Dancehall-Fans fühlen sich ungerecht behandelt: Die Texte seien homophob, aber keine Mordaufrufe. Es gehe auch nur um eine Handvoll Zeilen aus dem gigantischen Œuvre Sizzlas, eines der produktivsten Künstler der Szene.

Um die Lage zu entspannen, sei Volker Beck auf das Festival eingeladen worden, sagt Buchholz, aber: "Er hat nicht reagiert." Sizzla wird auf jeden Fall dort sein - und sich genau überlegen, was er auf der Bühne von sich gibt.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2010
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