Süddeutsche Zeitung

Schirmhersteller aus Simbach:Ein Hoch aufs Tief

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"Happy Rain" ist Europas größter Schirmhersteller und beliefert namhafte Marken. Wenn die Meteorologen Regen vorhersagen, steht in Simbach am Inn bei den Würflingsdoblers das Telefon nicht mehr still.

Von Dario Nassal

Am Anfang war der Regenschirm. Manchmal, wenn Klaus Würflingsdobler die Augen schließt, dann kann er es wieder hören: das Rattern der Ausheft-Maschine, das Schrauben und Klopfen der Männer im Atelier, das Surren der Holzfräse, die ihre Klinge ins Kastanienholz gräbt. Es sind die Geräusche seiner Kindheit und sie begleiten Klaus Würflingsdobler bis heute. Er ist mit Regenschirmen aufgewachsen, er ist mit Regenschirmen reich geworden, er wurde sogar in einer Regenschirmfirma geboren - damals 1956, in der kleinen Manufaktur seines Großvaters in Braunau am Inn.

Klaus Würflingsdobler geht durch die Lagerhalle. Er zeigt auf leere Stellen zwischen meterhohen Kartonwänden. "Überall Löcher", sagt er und meint die Löcher im Bestand. "1,3 Millionen Regenschirme - das ist fast nichts!" Die Löcher hängen mit dem Wetter zusammen und für Würflingsdobler sind sie ein gutes Zeichen: Denn es hat viel geregnet diesen Sommer und die Kunden haben viel bestellt.

Würflingsdobler lieferte, seine Männer machten Überstunden: Etiketten kleben, Adressen drucken, Pakete stapeln, mit dem Gabelstapler aus der Halle bringen und in Lkw laden, die durch ganz Europa fahren in die großen Shopping-Malls und kleinen Boutiquen in Rom, Paris, Mailand, Budapest und Berlin. Immer dann, wenn der Wetterbericht Regen vorhersagt, gehen Bestellungen ein. "Man soll es kaum glauben, aber bei uns klingelt das Telefon fast nur bei schlechtem Wetter", sagt Klaus Würflingsdobler.

In Simbach sitzt Europas größter Regenschirmhersteller

Simbach am Inn ist das Regenschirm-Zentrum Europas. Hier wird mit schlechtem Wetter viel Geld verdient. Hier sitzt Europas größter Schirmhersteller - Würflingsdobler: Seine Firmengruppe verkauft 16 Millionen Schirme weltweit. "Happy Rain" macht 23 Millionen Euro Umsatz im Jahr und beliefert neben Designermarken wie Esprit und Pierre Cardin auch Kaufhausketten wie Karstadt und C&A.

Klaus Würflingsdobler gründete Happy Rain 1988 zusammen mit seiner Frau Ilse. Sein Bruder hatte das Unternehmen des Großvaters in Braunau übernommen; Klaus und Ilse wollten ihren eigenen Weg gehen. Weil sie in Simbach wohnten und hier auch ihre Kinder in der Schule waren, pachteten sie ein marodes Fabrikgelände in der Kleinstadt am Inn. Sie suchten und fanden eine Bank, die ihnen Kredit gewährte, sie renovierten, stellten 25 Mitarbeiter ein und begannen, Regenschirme zu produzieren. "Uns wurde aber recht schnell klar, dass es zu teuer ist, Regenschirme in Deutschland zu fertigen. Wir mussten auslagern", sagt Ilse Würflingsdobler.

Denn der Regenschirm ist nicht das, was er einmal war. So zumindest erzählen es die Würflingsdoblers: "Früher war der Regenschirm ein Wertgegenstand, ein Geschenk, auf das man stolz war. Aber das hat sich geändert: Wer heute 20 Euro für einen Schirm bezahlt, zählt schon zu den Exoten", sagt die 33-jährige Tochter Claudia, die ebenfalls in der Firma arbeitet.

"Wir haben auf Holzpritschen übernachtet"

Ihr Vater habe das rechtzeitig erkannt. Klaus Würflingsdobler erinnert sich genau: "Als die anderen Regenschirmhersteller noch in den Luxus-Hotels in Taiwan logierten, war ich schon mit Schlafsack und Gummistiefeln in China unterwegs!" Wenn der Geschäftsführer von China erzählt, dann klingt das nach wilden Jahren, nach Abenteuer. "Damals, in den Neunzigern, gab es dort keine befahrbare Straßen. Überall Schlaglöcher", sagt er. Keiner habe Englisch gesprochen. "Wir haben auf Holzpritschen übernachtet." Tatsächlich war Würflingsdobler einer der ersten, der bereits in den frühen Neunzigern persönlich Verträge mit chinesischen Produktionsfirmen aushandelte. Das zahlte sich aus: Von 18 Regenschirmherstellern sind heute in Deutschland nur zwei übrig - Neuser in Regensburg und Happy Rain in Simbach. Alle anderen konnten sich die Produktion auf Dauer nicht leisten.

Heute werden im Werk in Simbach nur noch die teuersten Schirme für ausgewählte Designkollektionen produziert: 10 000 Quadratmeter Firmenfläche, 9000 Quadratmeter davon sind Lagerfläche für die Lieferungen. Die meisten der 65 Mitarbeiter sitzen im Büro, in der Verwaltung, arbeiten im Versand und im Vertrieb. Nur noch drei von ihnen schrauben die Metallköpfe per Hand auf die Kastanienholzstangen und befestigen die teuren Jacquard-Stoffe an der Gabel. Die alten Maschinen, sie sind noch alle da, aber man hört sie kaum noch surren, tackern und stampfen. "Wir fertigen am Tag noch 30 bis 70 Schirme hier im Haus. Damit wir das Fingerspitzengefühl behalten", sagt Würflingsdobler, fährt gedankenverloren über einen der bunten Stoffe. Ein bisschen sieht er sentimental dabei aus. Aber so ist es nun einmal. Das Geschäft hat sich gewandelt und Würflingsdobler davon profitiert.

Schirm ist nicht gleich Schirm, das Preisspektrum ist groß: Die Kunden zahlen im Laden zwischen drei und 79 Euro für einen Happy-Rain-Schirm. Wenn man Klaus Würflingsdobler danach fragt, was einen guten Schirm ausmacht, ist er nicht mehr zu stoppen. Er steht vom Bürostuhl auf und fängt an zu präsentieren: Damenschirme, Herrenschirme, Kinderschirme, Golfschirme, Taschenschirme, ja sogar Sonnenschirme mit Ventilator und Regenschirme mit eingebautem MP3-Player. Würflingsdobler zeigt auf die Gabeln, Gelenke, Stäbe, er klappt auf und zu, spricht über Farben und Stoffe. "Sehen Sie", sagt er, steht wieder auf, zieht an Schubladen und holt neue Schirme: zehnstängige, achtstängige, sechsstängige Schirme. "So feingliedrig." Schirme aus Holz, aus Plastik, aus Glasfasern, mit Windüberklappsicherung, Regenbogenfarben und schwarz. Diese Faszination für Regenschirme - sie ist echt. Vielleicht ist es das, was Klaus Würflingsdobler erfolgreich gemacht hat. Er habe nie aufgehört, hungrig zu sein, sagt er. Hungrig nach neuen Kreationen, nach neuen Farben, nach neuen Schirmen.

"Tupf ist top", sagt Tochter Claudia. Sie arbeitet gemeinsam mit Designern an der Herbstkollektion 2015 und zeigt den Trend zu spritzigen Farbtupfern, Karostoffen und Leoparden-Mustern in Katalogen. Einige der Designs stammen von ihr. Klaus Würflingsdobler sagt, er sei stolz auf sie. Wie überhaupt auf seine ganze Familie, auf seine Frau, auf seine Schirme. Selbst die Enkelin spiele schon gerne mit dem neuen Sunflower-Regenschirm-Gestell. Natürlich. Mit was auch sonst.

So wie mit dem Schirm, so ist es mit dem Regen. "Each raindrop is a kiss from heaven", zitiert Ilse Würflingsdobler in bayerischem Englisch. Und Klaus Würflingsdobler sagt: "Manchmal wenn ich auf einer Südostasien-Reise am Pool liege und es richtig warm ist, dann genieße ich es, wenn der Regen auf mich herunter prasselt." Einfach so.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2014
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