Süddeutsche Zeitung

Denkmalschutz:Der Sound des Barock

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Die Freywis-Orgel in Rottenbuch gilt als eine der bedeutendsten Orgeln Südbayerns. Am Pfingstsonntag wird sie erstmals nach der komplizierten Restaurierung angespielt.

Von Jasinta Then, Rottenbuch

Es klingt fast wie ein Tinnitus: Ein hoher, durchdringender Ton erfüllt den Raum der katholischen Pfarrkirche Mariä Geburt in Rottenbuch. Er steht sekundenlang, dann folgt der nächste. So hört es sich an, wenn Markus Linden die Orgel stimmt. Wer ihm bei der Arbeit zuschauen möchte, der muss mit einer Leiter an der Seite des Instruments hinauf steigen. Dort sitzt Linden inmitten der 2647 Pfeifen, die er eine nach der anderen stimmt. Eine anstrengende Prozedur für Hand und Ohr. "Intonateur" lautet seine Berufsbezeichnung, mit der nur Spezialisten etwas anfangen können.

Die Intonation ist der letzte Schritt zur Restaurierung der historischen "Freywis-Orgel". Vier Jahre haben die Arbeiten gedauert und 800 000 Euro gekostet. Von der Empore, auf der Linden werkelt, bietet sich ein imposanter Ausblick auf die einstige Klosterkirche der Augustiner-Chorherren. Der romanische und gotische Bau wurde im 18. Jahrhundert im Stil des Rokoko erneuert und zählt seither zusammen mit der Wieskirche und dem Steingadener Münster zu den herausragenden Sakralbauten im Pfaffenwinkel.

Auch die Freywis-Orgel, benannt nach ihrem Erbauer Baltasar Freywis im Jahr 1747, gehört zu den bedeutendsten Barockorgeln im südlichen Bayern. Die kleinste ihrer 2647 Pfeifen misst gerade einmal 1,2 Zentimeter in der Länge, die größte 4,45 Meter. Insgesamt ist die Orgel zehn Meter hoch, acht Meter breit und wiegt rund elf Tonnen. Sie wurde bereits im Jahr 1783 umfassend umgebaut und auch danach mehrmals repariert - allerdings nicht immer zum Guten. Am Gravierendsten war der Eingriff von 1963, mit dem der Klang der Orgel stark verändert wurde. Fast die Hälfte der barocken Originalteile fiel damals der brachialen Sanierung zum Opfer. Die Orgel sei "hübsch-hässlich" geworden, beschreibt Matthias Wagner, der Leiter der Restaurierungsabteilung der Firma Klais, den damaligen Zustand.

Vor zehn Jahren gab es aber eine Überraschung: Das Münchener Stadtmuseum war im Besitz von zwei Windladen, die aussortiert werden sollten. Sie lagerten in einer Garage. Windladen, das muss man wissen, verteilen die Luft an die Pfeifen und sind deshalb von großer Bedeutung für das Klangbild. Es stellte sich heraus, dass es sich bei den Münchner Bauteilen um die Original-Manualladen des Hauptwerkes der Rottenbucher Orgel handelte. Allerdings konnten sie nicht so einfach wieder eingebaut werden.

Ein regelrechter Trümmerhaufen

So entschied sich die Kirchenverwaltung nach jahrelangen Diskussionen im Jahr 2012, die Orgel renovieren zu lassen und ihr wieder die Stimme des 18. Jahrhunderts zurückzugeben. Doch woher sollten die dafür nötigen 800 000 Euro kommen? Es war ein glücklicher Umstand, dass die Bundesregierung damals ein Programm zur Sanierung von Orgeln aufgelegt hatte. Aus diesem Topf konnte ein Großteil der Ausgaben finanziert werden. Den Rest teilten sich der Freistaat Bayern sowie die Gemeinde Rottenbuch, das Erzbistum München und Freising und viele weitere private Spender. So fiel der Startschuss für die umfassende Restaurierung im Jahr 2017, mit der die Firma Orgelbau Klais aus Bonn beauftragt wurde - eines der größten Projekte seiner Art in Bayern, wie Nikolaus Könner, Orgelspezialist des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, erläutert.

Eine besondere Schwierigkeit war vor allem der regelrechte Trümmerhaufen, der aus 1000 historischen Pfeifen bestand, die 1963 wild durcheinander verbaut worden waren. Sie mussten alle erst identifiziert und sortiert werden, ein "Spurenlesen", wie Matthias Wagner es nennt. Ein extrem schwieriges "Riesenpuzzle" sei das gewesen, sagt Könner. Wenigstens stand auf jeder Pfeife handschriftlich der jeweilige Ton. Die fehlende Hälfte des Pfeifenwerkes wurde möglichst originalgetreu nachgebaut. Doch es blieben Zweifel, ob nicht doch alles "vielleicht ganz anders war", gesteht Wagner. Wer weiß schon mit Gewissheit, wie eine Orgel im 18. Jahrhundert klang?

"Ein Aufbruch"

Wagner sagt, man versuche die Gefühls- und Erfahrungswelt eines Musikers im Barock nachzuvollziehen. Eine Reise in die Klangwelt vor 300 Jahren. Ziel war es, ein Gesamtkunstwerk wieder zum Leben zu erwecken und den "Klang der Kirche mit der Orgel wiederzufinden". Oder anders ausgedrückt: Der Raum der Kirche muss mit dem Klang des Instruments harmonieren. Matthias Wagner merkt allerdings an, dass stets die Orgel der Chef sei und "selbst auch sprechen müsse". Der markante, filigrane Klang von einst sollte zurückkommen. Und tatsächlich klingt das restaurierte Instrument sehr dynamisch und differenziert, mal laut und durchdringend, mal leise und gedämpft.

Am Pfingstsonntag, 5. Juni, wird die Freywis-Orgel mit einer Festmesse in C-Dur von Bernhard Haltenberger feierlich geweiht. Dem Organisten Norbert Düchtel aus Regensburg wird die Ehre zuteil, das generalüberholte historische Instrument dabei zu spielen. Die Einweihung ist zugleich Auftakt zum Rottenbucher Festsommer 2022. Bis 11. September folgen weitere sieben Orgelkonzerte.

Pfarrer Josef Fegg ist schon voller Vorfreude. "Wir ziehen in jeder Hinsicht alle Register", sagt er. Dem pflichtet auch Florian Löffler bei, der seit 2021 als Kirchenmusiker im Pfarrverband Rottenbuch arbeitet: "Von der restaurierten Orgel sollen neue Impulse für die Kirchengemeinde und die Region ausgehen." Entsprechend lautet das Motto des Pontifikalamts am Pfingstsonntag auch "Aufbruch".

Orgelspezialist Könner sieht die Sache eher von der nüchternen Seite. In erster Linie sei die Orgel ein "Technikdenkmal", sagt er. Um den perfekten Klang des Instruments zu bekommen, müssen alle Bestandteile erhalten bleiben. Projektleiter Wagner vergleicht die Orgel mit einer Dampflokomotive, man müsse stets hier und da etwas reparieren und pflegen, sie sei kein "perfektes" Instrument. Schon nach einem Jahr muss eine Orgel bereits neu gestimmt werden. Da die Temperatur in der unbeheizten Kirche von Rottenbuch auch mal unter null Grad fallen kann, muss die Orgel regelmäßig neu eingestellt werden.

Das Fazit der Restaurierung: "Hinterher ist mehr da als vorher", sagt Denkmalpfleger Könner, und zwar sowohl klanglich als auch geschichtlich. Am Sonntag dürfen sich die Kirchenbesucher davon überzeugen.

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