Süddeutsche Zeitung

Regelwerk für V-Leute:Verrat nach Vorschrift

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Mit deutscher Gründlichkeit hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein Regelwerk für Spitzel festgelegt: Aus einem vertraulichen Dokument geht hervor, an welche Regeln sich die Verräter zu halten hatten.

Mike Szymanski

In den 90er Jahren war das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz nicht sonderlich wählerisch, wenn der Geheimdienst Verräter in der Extremistenszene führte. Der Neonazi Kai D. aus Kronach in Oberfranken ist dafür ein Beispiel. Der Spitzel soll Kontakt zum Umfeld des späteren NSU-Terrortrios gehabt haben, dem allein in Bayern fünf Morde zur Last gelegt werden.

Nach Aktenlage war D. wohl ein Kleinkrimineller, der etwa wegen Fahrens ohne Führerschein auffiel und auch durch kleinere Betrügereien. Viel schlimmer wiegt jedoch der Verdacht, dass er die Thüringer Neonazi-Szene an führender Stelle mit aufgebaut haben soll. All das kümmerte die bayerischen Verfassungsschützer damals offenbar wenig, wenn sie ihn als Quelle anzapften.

"Dass da immer wieder Gauner dabei sind, ist selbstverständlich", erzählte im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags ein Abteilungsleiter vom Umgang mit V-Leute in der damaligen Zeit. Die Aufklärung der NSU-Morde liefert bis heute eine Reihe von Verdachtsmomenten, wonach einst als Top-Quellen geführte V-Leute die Behörden womöglich an der Nase herumgeführt haben.

Der Süddeutschen Zeitung liegt ein vertrauliches Dokument vor, mit dem der bayerische Verfassungsschutz seit 2010 - als von dem NSU noch keine Rede war - versucht , verbindliche Regeln für eine Welt zu schaffen, in der die Menschen sonst nicht viel auf Paragrafen geben. "Dienstvorschriften für die Extremismusbeobachtung" heißt der Titel des 23 Seiten umfassenden Dokuments, das den Umgang mit V-Männern beschreibt, wie ihn sich die Beamten im Verfassungsschutz wünschen - bis ins Kleinste geregelt.

Es beginnt damit, dass die Spitzel laut Dienstvorschriften einen schriftlichen Vertrag mit dem Landesamt für Verfassungsschutz abschließen. "Ich bin grundsätzlich und aus freien Stücken zur Tätigkeit für das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz bereit", heißt es gleich zu Beginn der "Zusammenarbeitsklärung" und weiter: "Ich habe mich streng an die Aufträge der mich führenden Person zu halten." Die Verfassungsschützer verlangen nach einem guten Verräter: "Meine Tätigkeit für BayLfV berechtigt mich nicht, strafbare Handlungen zu begehen", verpflichtet die Behörde den Spitzel.

Wer vom Landesamt unter Vertrag genommen wird, ist den Vorschriften zufolge zuvor gründlich durchleuchtet worden. Erst dann werden Werbungsversuche unternommen, die nach Paragraf 11 Absatz 5 "unter Verwendung eines Decknamens" und nicht in "Anwesenheit Dritter" zu erfolgen haben. Wie im richtigen Berufsleben gilt eine Probezeit, geregelt in Paragraf 12: "Jeder geheime Mitarbeiter wird zunächst auf Probe eingesetzt. Die Probezeit soll höchstens sechs Monate betragen."

Wie der V-Mann-Führer mit seinem Informanten umzugehen hat und wie weit dieser gehen darf, regelt Paragraf 14. Dort steht auch, dass ein Spitzel des Verfassungsschutzes letztlich nicht Führungsfigur der beobachteten Gruppe sein darf: "Die Auftragserteilung oder das eigeninitiative Verhalten des geheimen Mitarbeiters dürfen nicht dazu führen, dass dadurch Zielsetzung bzw. Tätigkeiten des Beobachtungsobjekts maßgeblich (mit-) bestimmt werden." In den 90er Jahren hatten die Verfassungsschützer dies lockerer gesehen. Nachdem aber ein erster Anlauf für ein Verbot der rechtsextremen NPD daran scheiterte, dass die Führungszirkel von Spitzeln durchsetzt waren, änderten die Sicherheitsbehörden das Regelwerk.

Auch über die Bezahlung von V-Leuten hat sich die Behörde Gedanken gemacht. Vom Grundsatz her gilt, "dass der geheime Mitarbeiter seinen Lebensunterhalt nicht auf Dauer ausschließlich aus den Zuwendungen des BayLfV bestreitet". Wenn er in einem Monat mal mehr als 2500 Euro bekommt, muss dies der Behördenchef genehmigen. Es gibt eine Reihe von Kriterien, nach denen sich bemisst, wie viel Geld der Verräter bekommt, die auch Personalchefs großer Unternehmen verwenden könnten: "Loyalität", "Bereitschaft zur Weiterbildung", "Risikobereitschaft", "Erfahrungen" - hier durch "frühere Nachrichtendienst-Tätigkeit". Auch Spesen kann der V-Mann abrechnen.

Die Behörde bewertet ihre geheimen Zuträger und verteilt Buchstaben - von A bis F. A ist eine Top-Quelle: "zuverlässig", heißt es über die Person, "längere Zeit erprobt, kennt sich aus, hat bisher nur wahrheitsgemäß berichtet und weist keine Charaktermängel auf". Spitzel in der Probezeit beginnen mit der Note F: Zuverlässigkeit: "unbekannt". Die Note E bekommen die Schlechten - "unzuverlässig". Solche Mitarbeiter sind "abzuschalten". Auch dafür gibt es ein Schriftstück, das der Spitzel zu unterzeichnen hat: Die Abschaltungserklärung.

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SZ vom 13.11.2012
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