Süddeutsche Zeitung

Prozess:"Ich bin mit dem Auto quasi durch die Luft geflogen"

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Von Mirjam Uhrich, Memmingen

Thiemo W. versteht die ganze Aufregung nicht. Er ist doch bloß mit dem Smart auf die Käseralpe gefahren, mitten in ein Flussbett der Allgäuer Alpen, auf 1400 Meter Höhe. Wie er denn da hinaufgekommen sei, will die Richterin von ihm wissen.

"Ich bin quasi mit dem Auto durch die Luft geflogen. Das ist gut gegangen, da war ich energiegeladen", erzählt er ganz ruhig, als wäre es das Normalste der Welt. Und als das kleine Auto irgendwann stecken geblieben ist, hat es der 31-Jährige eben angezündet. Vor lauter Wut. Zum Gipfel ist er dann barfuß weiter, querfeldein.

Ein Polizeibeamter, der ihn im November vernommen hatte und vom Landesgericht Memmingen am Dienstag als Zeuge geladen wurde, kann es immer noch nicht fassen. "Der ist mitten durchs Bachwerk, da braucht man einen Geländewagen. Ich habe echt keine Ahnung, wie er das mit dem Smart geschafft hat." Der Beamte schüttelt den Kopf.

"Dann ist er auch noch raufgeklettert, ohne Schuhe, querfeldein. Jeder andere wäre abgestürzt. Ich hab gedacht, ich krieg die Krise, als er mir das erzählt hat." Ein offenes Gespräch sei es gewesen, fast schon kameradschaftlich. "Er hat gesprudelt wie ein Buch, ich musste ihn nur loben", sagt der Polizist und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Offen und entspannt gibt sich Thiemo W. auch vor Gericht. Mit seinen kurzen Haaren und dem weißen Hemd wirkt er wie ein kleiner Bub, der beim Naschen erwischt wurde. Freimütig erzählt er von Cannabis und Amphetamin, vom Stress bei der Arbeit und mit seinem Vater, von seiner Psychose und dem kompletten Kontrollverlust über sein Leben im vergangenen Herbst.

Zerstörte Scheiben, geklaute Monitore, brennende Autos und der spektakuläre Bergausflug mit dem Smart waren die Folge. Die Anklage der Staatsanwaltschaft ist lang, sie umfasst mehr als 20 Punkte. Ein Schaden von knapp 90 000 Euro in acht Tagen. Die Staatsanwaltschaft kommt zu dem Schluss, der Angeklagte sei "für die Allgemeinheit gefährlich". Seit November wird er im Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren behandelt.

"Ich habe einiges gelernt. Ich weiß jetzt, wie man sicher durchs Leben kommt", erzählt W. Wie denn, will die Richterin von ihm wissen. "Ich muss mir halt Hobbys suchen und eine Arbeit." So einfach klingt das aus seinem Mund. Mit einem Urteil ist am Dienstag zu rechnen.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2016
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