Süddeutsche Zeitung

Patientin:Karin Zimmermann, 53

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Protokoll von Lisa Schnell

Ich bin sehbehindert und Diabetikerin und hatte einen schweren Unfall. Ich war stationär in verschiedenen Kliniken und bin aktuell Ambulanz-Patientin. Da erlebt man so einiges.

Am Schlimmsten ist es als frisch operierte Patientin auf Station. Aufgrund der Sehbehinderung kann ich die klein gedruckten Essensbestellungen nicht ausfüllen. Das Personal hat dafür keine Zeit. Automatisch wird "Standardessen" bestellt, obwohl ich Diabetiker-Kost bräuchte. Wegen der frisch operierten Hand konnte ich kein Messer halten. Die Frau, die mir das Frühstück hinstellte, war von einer externen Firma - outgesourct zur Kostenersparnis. Bedeutet: Semmel aufschneiden? Fehlanzeige. Gleichzeitig war Schichtwechsel, so blieb nur an der Semmel rumknabbern, das war's dann mit Frühstück!

Braucht man Schmerzmittel oder muss auf die Toilette, heißt es von der total gestressten Pflegeperson: "Jetzt nicht - später. " So trauen sich gerade ältere Patienten gar nicht mehr zu klingeln, so verschüchtert sind die. Aber die allerärmsten sind die Demenzkranken. In einem Krankenhaus gehen diese Menschen komplett unter. Beispiel: Röntgen. Die werden vom Bringdienst in ihren Betten im dunklen Gang im Untergeschoss abgestellt. Da liegen sie mutterseelenallein, bis die MTA sie zur Untersuchung holt. Für Demente ist das blanker Horror. Eine Frau rief immer: "Hilfe, die Russen kommen!" Sie dachte, sie wäre im Luftschutzbunker und war total in Panik. Aber vom Radiologie-Team hatte keiner Zeit für ein beruhigendes Wort! Das Krankenhauspersonal ist überfordert. Alle machen ihre Arbeit am absoluten Limit. Wenn man fit als Patient light kommt, geht es noch. Aber ist man chronisch krank oder dement, muss man heilfroh sein, wenn man das ganze Pflegechaos bis zur Entlassung unbeschadet überlebt.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2019
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