Süddeutsche Zeitung

Oberammergauer Passionsspiele:Am Ende ist das Wort

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"Man ist froh, wenn man endlich sterben kann": Wie sich die beiden Oberammergauer Jesusdarsteller Frederik Mayet und Andreas Richter auf ihre große Rolle vorbereiten.

Sabine Buchwald

Als sie im Herbst zum ersten Mal am Kreuz hingen, da war es mehr eine technische Angelegenheit, es ging um Fragen der Sicherheit. Frederik Mayet und Andreas Richter, der eine Snowboarder, der andere Skifahrer und beide Jesusdarsteller, nahmen es eher sportlich, festgezurrt mit Gurten aus fünf Metern Höhe auf den Bühnenboden zu blicken. Bei der bislang letzten Hängprobe vor ein paar Wochen aber, da standen schimpfendes Volk vor dem Kreuz und eine weinende Maria. Die Henker trieben mit kräftigen Schlägen Nägel ins Holz. Freilich alles nur gespielt, doch so gut, dass Richter die Brutalität und Erniedrigung deutlich spürte. Wenn erst alle in Kostümen sind und grimmig schauen, glaubt er, werde es wohl so brutal, dass er das Leid und den körperlichen Schmerz nicht mehr mimen müsse. "Dann ist man sicher froh, wenn man endlich sterben kann."

Seit am 18.April vor einem Jahr Malermeister Willi Häßler die Namen der 42 Hauptdarsteller der Passion 2010 öffentlich an die Tafel geschrieben hat, ist im Leben vieler Oberammergauer manches nicht mehr wie zuvor. Für Toni Burkhart zum Beispiel. In mehr als 50 Aufführungen hatte der breitschultrige Mann den Jesus gegeben, damals im Millenniumsjahr. Wenig später, nachdem klar war, wer ihn 2010 beerben würde, sagte Burkhart lächelnd: "Ab jetzt bin ich nicht mehr der Christus." Burkhart hatte zehn Jahre mit dieser Rolle gelebt, was sich allein optisch an der Länge seiner schulterlangen Haare ablesen ließ.

Nun sind es Mayet und Richter, die sich lange, dunkelblonde Strähnen hinter die Ohren klemmen und mit jedem Probentag mehr erkennen, was es bedeutet, ein Jesusdarsteller zu sein. "Man wird im Dorf schon sehr viel mehr gegrüßt", sagt Richter. Die kleinen Kuriositäten im Alltag häufen sich, je näher die Premiere rückt. Nur noch sechs Wochen sind es bis zum 15.Mai. Mayet war neulich sehr erstaunt, als er nachts um eins in seiner Stammkneipe ein Objektiv auf sich gerichtet sah. Und Richter erzählt von einem Touristen, der ihn in der Eisdiele Paradiso gesehen hat und rief: "This could be Jesus."

Solche Erlebnisse verstehen die Laiendarsteller auch als Kompliment. Denn die Zeit der Vorbereitung ist härter als die der Aufführung. Sein Leben bewege sich nur noch zwischen arbeiten, proben und schlafen, sagt Mayet. Der 30-Jährige ist Pressesprecher des Münchner Volkstheaters und der Passionsspiele. Er pendelt zwischen der Großstadt und Oberammergau, und gerade war er in Rom, wo er für die Passion geworben hat. Richter arbeitet als Psychologe und ist vor kurzem Vater geworden. 33 Jahre ist er, so alt wie Jesus vermutlich war bei seiner Kreuzigung. Mayet und Richter haben Augenringe mitgebracht zum Gespräch im Theatercafé. Aber sie wissen um ihre Vorbildfunktion, reißen sich bei den Proben vielleicht mehr zusammen als andere, unterdrücken jedes Gähnen. Nur privat entlädt sich der Druck im Scherz, etwa wenn sich Mayet und Richter mit "Hallo, Heiland" ansprechen oder "Na, Messias".

Wie aber stellt man den Heiland dar? Als Mensch? Als Sohn Gottes? Das Haar der Schauspieler wächst und mit ihm das Verständnis für die Rolle, die sich für Mayet und Richter stark über den Text definiert. Jemand, der sich hinstellt und sagt, "ich weiß den Weg zu Gott", kann sehr arrogant wirken, findet Mayet. So aber will er auf keinen Fall rüberkommen - sondern als einer, der eine Idee hat und nicht müde wird, andere zu überzeugen.

"Ihr sammelt euch Schätze auf Erden"

Christian Stückl und Otto Huber haben nach der Reform von 2000 erneut kräftig gearbeitet an der Vorlage aus dem 19.Jahrhundert, verfasst von den Geistlichen Othmar Weiß und Joseph Alois Daisenberger. Seit 1634 wird das Passionsspiel alle zehn Jahre aufgeführt - das hatten die Oberammergauer zu tun gelobt, damit niemand mehr an der Pest stürbe. In einem Brief an Hugo von Hofmannsthal pries der Heimatschriftsteller Ludwig Ganghofer 1900 die "Großzügigkeit dieser Darstellung, die zwischen künstlerischer Naivität und einer durch Jahrhunderte ins Gewaltige ausgeschulten Form schwankt". Gleichwohl bemerkte er kritisch: "Wenn die Leute den Mund aufmachen, ist die Enttäuschung da. Aber das Wort ist hier Nebensache."

Eine solche Kritik käme heute einem Todesurteil gleich für das Mammutprojekt, an dem knapp die Hälfte der 5000 Einwohner teilnimmt. Zu übermächtig ist die Konkurrenz der Unterhaltungsbranche. Aufwendig inszeniert und auf religiöse Kernaussagen zugespitzt, behält das Passionsspiel dennoch seine Aktualität. Davon sind die beiden Jesusdarsteller überzeugt. Liebe deinen Nächsten, das sei eine zeitlose Grundregel des Miteinanders, sagt Richter. Mit jedem Satz, den er mit Stückl erarbeitet, wird Jesus für ihn echter, erdiger, menschlicher. Jemand, der auch Schwächen hat, sich aber immer wieder in seinem Glauben fängt. "Ihr sammelt euch Schätze auf Erden, die von Rost und Motten zerfressen werden. Ich aber sage euch, sammelt Schätze im Himmel. Denn wo dein Schatz ist, ist auch dein Herz", rezitiert Mayet, und er interpretiert: Wenn Menschen etwas in sich spürten, dann könnten sie etwas verändern. Er hofft, dass er es schafft, solche Botschaften gut zu vermitteln. Gerade in Zeiten, in denen Menschen an Burn-out leiden und materiellen Dingen hinterherjagen, sei es wichtig, über den kraftgebenden Glauben zu grübeln. Da müsse man nicht an die Institution Kirche denken und nicht an die schlimmen Vorfälle im nahen Ettal.

Oberammergau ist geschmückt mit blühenden Zweigen und bunten Eiern. Besinnlichkeit kommt bei Mayet und Richter keine auf, dafür haben beide zu viel um die Ohren. "Wir sind seit einem halben Jahr mit Ostern beschäftigt", sagt Mayet und reibt sich die Augen. Und Richter ergänzt: "Die Geschichte aber wird eine nachhaltige Wirkung auf alle haben, die mit Ernsthaftigkeit dabei sind."

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Quelle:
SZ vom 01.04.2010
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