Süddeutsche Zeitung

Not der Hebammen:Wenn der Beruf nicht mehr bezahlbar ist

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In den ersten Wochen nach der Geburt sind sie für jede Frau eine unverzichtbare Hilfe. Doch immer mehr Hebammen geben ihren Beruf auf. Die Haftpflichtprämien sind einfach zu hoch - und sollen nun schon wieder angehoben werden.

Agnes Popp

Der kleine Aaran brüllt. Seine Mutter versucht ihn zu beruhigen, legt ihm die Hände an die verschwitzten Wangen. Vor vier Tagen hat die 28-Jährige in der Klinik Fürstenfeldbruck ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Heute Nacht hat es nur ein paar Stunden geschlafen, seine Mutter kaum mehr. Erleichtert blickt sie Birgit Amey entgegen, die den Säugling mit geübtem Griff übernimmt und vor sich auf das Sofa bettet.

Birgit Amey ist eine von etwa 18.000 Hebammen in Deutschland, die noch praktizieren. Zwischen zehn und 15 Prozent der Geburtshelferinnen haben laut Bayerischem Hebammenverband (BHV) in den vergangenen zwei Jahren ihren Beruf aufgegeben. Grund dafür sind die hohen Haftpflichtprämien für freiberufliche Hebammen, die seit 2009 um 56 Prozent gestiegen sind. Im Juli werden die Prämien nochmals um 15 Prozent angehoben - bei einem durchschnittlichen Nettostundenlohn von unter zehn Euro. Diese Zahlen bestätigte eine Studie des IGES-Instituts, die gerade vorgestellt wurde und die das Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegeben hatte.

Birgit Amey arbeitet freiberuflich in der Klinik und macht Hausbesuche zur Wochenbettbetreuung, wie heute bei Aaran und seiner Mutter Mira (beide Namen geändert). "Man hat immer so seine Höhen und Tiefen", sagt Amey, während sie Aaran auszieht und behutsam abtastet, "aber mittlerweile habe ich das Gefühl, jetzt geht's uns wirklich an die Existenz." Der Großteil der Hebammen, die in Kliniken mit Entbindungsabteilung eingesetzt werden, arbeitet wie Birgit Amey freiberuflich. Mit 80 Prozent liegt der Anteil der selbstständigen Geburtshelferinnen in Bayern sogar deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

Die Arbeit der Hebammen prägt die Geburtskultur in Deutschland. Ihre Situation habe letztlich Auswirkungen auf alle Frauen, die Kinder bekommen, sagt Birgit Amey. Der Bundesverband (DHV) fordert darum eine Eins-zu-Eins-Betreuung zurück, die auch die Zeit nach der Geburt einschließt. Bereits zwei Tage nach der Entbindung werden die Frauen typischer Weise entlassen, bei Kaiserschnittgeburten nur drei Tage später.

Dabei ist der Verlauf der Wochenbettphase entscheidend für die gesunde Entwicklung des Kindes und seine Bindung zur Mutter. Mira begleiten im Moment viele Ängste. "Er ist so klein", sagt sie, "manchmal weiß ich gar nicht, wie ich mit ihm umgehen soll. Jeden Tag passieren so viele Veränderungen, an ihm und an mir selbst. Ich brauche jemanden, der mir hilft, sie zu verstehen." Birgit Amey bezeichnet sich selbst als eine Art "interaktive Betriebsanleitung". Sie wechselt Aarans Nabelkompresse, präpariert eine Brustcreme, untersucht auch Mira noch einmal gründlich und prüft, ob in der Klinik alle Untersuchungen gemacht wurden. Nebenbei findet Amey auch noch Antworten auf Miras unzählige Fragen - momentan drehen sich die meisten ihrer Sorgen um das Stillen.

Hebammen wissen Bescheid - und sind deshalb unentbehrlich", so lautete das Motto des Internationalen Hebammentages. In Nürnberg, Würzburg und München stellten Hebammen an diesem Samstag Infostände auf. Es habe viele Gespräche gegeben, bei einigen Menschen seien persönliche Erinnerungen an Geburten aufgelebt, berichtet Susanne Weyherter vom BHV aus Nürnberg. Dort hätten zudem etwa 150 Personen in einem symbolischen Kondolenzbuch mit ihrer Unterschrift Solidarität mit den Hebammen gezeigt.

Alle sind sich einig, dass sich etwas ändern muss an der Situation der Geburtshelferinnen. Doch wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, verweist jeder auf den nächsten. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) fühlt sich durch gesetzliche Vorgaben zur Lohnsteigerung eingeschränkt: Wenn eine höhere Vergütung gewünscht sei, dann müsse die Politik handeln. Bayerns Politiker wiederum verweisen auf die Bundesebene. "Wenn die Selbstverwaltung keine befriedigenden Lösungen findet, ist der Bundesgesetzgeber aufgefordert, die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Hebammenhilfe zu verbessern", so Gesundheitsstaatssekretärin Melanie Huml.

Das Bundesministerium hat indes weitere Datenerhebungen zugesagt. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat die Krankenkassen aufgefordert, bei den Verhandlungen die hohen Versicherungsprämien zu berücksichtigen. Damit sieht das Ministerium allerdings seine Pflicht erfüllt: "Das Bundesgesundheitsministerium kann keinen Einfluss auf die aktuellen Verhandlungen nehmen. Jetzt sind die Vertragspartner gefordert."

Martina Klenk, Präsidentin des DHV, fordert jedoch einen gesetzlichen Ausgleich der Einkommensrückstände, damit die Hebammen eine Basis für die Verhandlungen mit den Kassen haben. Zudem sollen Klinikbetreiber die Prämien für angestellte Hebammen übernehmen. Sie appelliert schließlich an Daniel Bahr: "Wir erwarten, dass der Minister regulierend in den privaten Versicherungsmarkt eingreift." Birgit Amey hat inzwischen eine Ausbildung zur Heilpraktikerin begonnen. Sie sagt: "Ich muss mir ein zweites Standbein aufbauen. Wer weiß, wie lange ich das noch machen kann."

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SZ vom 07.05.2012
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