Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Beim Schafkopfen geht es zu wie im Swingerclub

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Unserem Autor fehlt zwar die Erfahrung beim Karteln, dafür hat er einen Vorteil: Seine Mitspieler trinken am Spieltisch sehr viel Bier.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Vor drei Jahren bin ich zum ersten Mal zum Schafkopfspielen eingeladen worden. Ich sagte natürlich sofort zu, weil ich bei solchen Esswettbewerben doch reichlich Erfahrung aus Syrien mitbringe. Bei uns dreht der Koch Klöße aus Schafspansen, füllt sie mit Reis und Fleisch und wirft sie mit den Schafsbeinen und dem Schafskopf in einen Topf. Wir nennen dieses Spiel "Qasche": Wer am meisten davon essen kann, gewinnt.

Dieses Schafkopfspiel sollte in einem Wirtshaus unweit des Münchner Marienplatz stattfinden. Als ich dort die ganzen üppig gebauten Burschen in ihren riesigen Lederhosen sah, fürchtete ich, dass ich das Spiel verlieren würde, noch bevor es losging. Doch da kam die Kellnerin schon an den Tisch und stellte die Bierkrüge ab. Rückzug war da keine Option mehr. Dann brachte sie meinen Tee und eine Schachtel mit Spielkarten. Schafkopf ist der Name eines Spiels. Ich sah meine Gewinnchancen wieder steigen.

Wie sehr ich mich doch täuschte.

Von den anderen hatte jeder ein Häufchen mit Zehn-Cent-Stücken vor sich liegen. Es geht um Münzen? Im Islam ist Kartenspielen verpönt, Glücksspiel mit Geld verbietet die Religion ganz. Ich musste mich deswegen etwas überwinden, die Spielkarten in die Hand zu nehmen.

Ich schaute zweimal zu, dann machte ich mit. Es erinnerte mich an ein Kartenspiel aus Syrien, es heißt Kookan - und hätte mir einst beinahe eine Einkerkerung eingebracht. Wir spielten gerade in unserem Haus, als die IS-Polizei an die Tür klopfte. Wir konnte die Karten gerade noch unter dem Teppich verstecken und taten so, als ob wir beim Gebet wären. Die IS-Polizei sagte zu uns: "Gut, dass ihr betet!"

Mein Problem im Wirtshaus sah nun so aus: Da die Symbole und Regeln für mich neu waren, verlor ich die ersten Spiele haushoch. Aber mir wurde schnell klar: Bayerisches Schafkopfen ist ein Spiel für Verräter. Man wechselt dort den Partner wie andere im Swingerclub. Nur dass man dabei einen Humpen Bier neben sich stehen hat und viel trinkt. Ich trank nichts, und auch sonst waren meine Partner sehr unzufrieden mit mir.

Die Wirtshausszenerie ist gar nicht so viel anders als ich es aus Syrien in Erinnerung habe. Syrien - vor dem Krieg. In den Kaffeehäusern saßen wir dort auch beisammen, tranken Tee oder Kaffee, rauchten Shisha und spielten Karten. Nur nicht um Münzen, sondern um die Ehre. Meine Mutter mochte es lieber, wenn wir mit Murmeln statt mit Karten spielten. Mit Karten verband sie Glücksspiel, zu dem seinerzeit der Regierungsfamilie eine Affinität dazu nachgesagt wurde.

Warum spiele ich trotzdem Schafkopfen? Eigentlich geht es dort gar nicht ums Geld. Die Zehnerl sind eher dazu gedacht, dass die Ernsthaftigkeit gewahrt wird. Und das funktioniert: Das Gefluche der Partner über meine Spielleistung ist weniger geworden - und mein Spielgeldkontingent beständiger. Mittlerweile bin ich soweit, dass ich in meiner Arbeit als Mittagsbetreuer zum Schafkopf-Lehrmeister für die Kinder geworden bin. Wer hätte geglaubt, dass ich, ein syrischer Flüchtling, den einheimischen Kindern etwas aus deren Kultur beibringen kann?

Vor diesen Viruszeiten bekam ich von meinen bayerischen Freunden viele Einladungen zum Schafkopfen. Und ich selbst lud sie auch ein, kochte Qasche und danach wurde Karten gespielt. Meine Frau und ich haben einen Deal ausgehandelt: Der Verlierer muss die Küche sauber machen.

In ambitionierten Runden merke ich bisweilen, dass mir noch etwas die Erfahrung fehlt. Aber ich habe auch einen Vorteil: Meine Mitspieler trinken beim Schafkopfen in der Regel sehr viel Bier. Je länger der Abend, desto röter die Gesichter. Während ich Zehnerl horte und meinen Tee schlürfe.

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Quelle:
SZ vom 02.05.2020
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