Süddeutsche Zeitung

Mordprozess in Aschaffenburg:Ein Normalo rastet aus

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Der Mann, der seine schwangere Freundin tötete, galt als völlig unscheinbar. Für die Tat fordert die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft ohne Bewährung

Von Katja Auer, Aschaffenburg

Diese schreckliche Tat wäre vielleicht leichter zu begreifen, wenn da ein Psychopath auf der Anklagebank säße, meint dessen Verteidiger. Ein Wahnsinniger, einer, der aus der Masse heraussticht und nicht völlig darin untergeht. Keiner wie sein Mandant, will er damit sagen, der unscheinbare Lastwagenfahrer, der vor fast genau einem Jahr Rebecca umgebracht hat, die junge Frau, die zwei Wochen später seine Tochter hätte zur Welt bringen sollen. Dass er es war, darin besteht im Saal 168 im Landgericht Aschaffenburg kein Zweifel, er hat es selbst zugegeben. Nun muss das Gericht entscheiden, wie er dafür zu bestrafen ist.

Oberstaatsanwalt Helmut Hasenstab fordert am Mittwoch lebenslange Haft wegen Mordes in Tateinheit mit Schwangerschaftsabbruch und zudem, die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Das bedeutet, dass der Mann nicht nach 15 Jahren aus dem Gefängnis entlassen werden könnte. Verteidiger Wolfgang Jahrsdörfer verlangt eine Verurteilung wegen Totschlags, dafür soll sein Mandant 14 Jahre in Haft. Er erkennt kein Mordmerkmale.

Der 32-jährige Angeklagte ist der einzige, der genau weiß, was an jenem Nachmittag in dem Waldstück bei Aschaffenburg passierte, in das er mit Rebecca gefahren ist. Um zu reden, sagt er. Die beiden kannten sich schon ein paar Jahre, gelegentlich hatten sie Sex miteinander. Heimlich, der Mann war seit 2002 fest liiert, seit 2014 verheiratet. Und Vater eines Buben. Trotzdem die Seitensprünge. Bei einem solchen Zusammentreffen, auf der Gickelskerb, wurde Rebecca schwanger. Der "Super-GAU" für den Angeklagten, wie es der Oberstaatsanwalt formuliert, er habe um seine Ehe gefürchtet und um seinen Lebensstil, denn als Lastwagenfahrer habe er ohnehin nicht allzu viel verdient. Zu wenig, um auch noch Unterhalt zu zahlen. Also habe sich der 32-Jährige entschlossen, Rebecca zu töten. "Der Plan nahm immer mehr Raum in seiner Vorstellung ein", sagt Hasenstab. Auch ein Gutachter hatte ausgesagt, dass der Angeklagte sich innerlich "mit einer gewaltsamen Lösung des Problems" arrangiert hatte. Eine Abtreibung hatte die 24-Jährige abgelehnt, sie wollte Lea zur Welt bringen. Zwei Wochen später wäre es soweit gewesen. Was hätte es also zu reden gegeben, fragt der Oberstaatsanwalt. Er glaubt die Version des Angeklagten nicht.

Der will mit Rebecca im Wald gewesen sein, um zu reden, und dann habe sie wieder Sex gewollt. Überhaupt sei die junge Frau fordernd gewesen, sagt der Verteidiger in seinem Plädoyer, dominant, und sein Mandant sei nicht in der Lage gewesen, sich aus der Situation zu befreien.

An der Stelle des Vortrags muss Rebeccas Vater den Saal verlassen, er können sich sonst nicht beherrschen, sagt er.

Der Angeklagte will eine Rangelei mit Rebecca gehabt haben, sie stürzten auf den Waldboden, sie habe geschrien und er sei ausgetickt. Ein Blackout, sagt er. Da erst habe er sie gewürgt und beschlossen, die Frau zu töten. Er habe sich in einer ausweglosen Situation befunden und sei aufgrund seiner "charakterlichen Struktur" nicht in der Lage gewesen, eine andere Lösung zu sehen, sagt sein Verteidiger. Da seien die Dämonen zurückgekehrt, die Dämonen von früher. Denn der 32-Jährige habe nie gelernt, Konflikte zu lösen, mit Enttäuschungen umzugehen. Das liege in seiner Kindheit begründet. Die Mutter abhängig von Alkohol und Medikamenten, der Vater nie daheim, die Schwester als einzige Bezugsperson. Als die früh auszog, habe er sich allein gelassen gefühlt. Nie seien ihm im Elternhaus Grenzen und Werte vermittelt worden. In seiner Jugend habe er sich "zu den Wilden" hingezogen gefühlt, Drogen gehörten dazu, Stänkereien. Besser wurde alles, als er seine Frau kennenlernte, einen "Super-Fang", wie sie ein Zeuge bezeichnete. Deren Familie befand sich "auf einem sozialen Level, das er selbst nie erreicht hätte", sagt sein Verteidiger, deswegen seien die Bindungen so eng gewesen. Und die Verlustängste. Bei der Heirat 2014 nahm er den Namen seiner Frau an, seine eigenen Eltern waren nicht zur Hochzeit gekommen. Inzwischen hat sich seine Frau von ihm scheiden lassen.

Als wunderbarer Ehemann und Vater wurde der Mann im Prozess von Zeugen beschrieben, doch der Angeklagte führte auch ein Doppelleben, sagt der Oberstaatsanwalt, und das habe schon vor der Ehe begonnen. An seinem Junggesellenabschied soll er Sex mit einer anderen Frau gehabt haben, Zeugen berichteten zudem von verschiedenen Damen, mit denen er seine Ehefrau betrogen habe. Rebecca war nur eine von vielen. Er habe eine Neigung, unangenehme Dinge zu verdrängen, sagte Hasenstab. Der Angeklagte habe sich eine Version zurechtgelegt, um seine Tat vor sich und anderen zu rechtfertigen. Denn tatsächlich gebe es keinen Anhaltspunkt, dass Rebecca ihn verfolgt und zum Sex gedrängt habe. Seine Nummer sei nicht einmal in ihrem Handy gespeichert gewesen.

Tagelang lag ihre Leiche in der Garage, wohin der 32-Jährige sie mit dem Auto eines Kumpels gebracht hat. Der verschaffte ihm außerdem ein falsches Alibi. Für den 26-jährigen Freund fordert der Oberstaatsanwalt sechs Jahre und sechs Monate Haft wegen Beihilfe zum Mord und Schwangerschaftsabbruch. "Wenn er es gewollt hätte, hätte er die Tat verhindern können", sagt er. Das Urteil soll am Donnerstag fallen.

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Quelle:
SZ vom 12.05.2016
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