Süddeutsche Zeitung

Mitten in Nürnberg:Die SPD und viele Thorsten Brehms

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Die Frage nach der eigenen Identität lässt sich nicht immer leicht klären. Gerade wenn man in Bayern sozialdemokratischer OB-Kandidat ist

Kolumne von Olaf Przybilla

Er probiere Geschichten an wie Kleider, sagt der Mann in seiner leeren Wohnung. Jedes Ich sei eine Rolle, der Mensch erfinde sich selbst eine Geschichte, die er für sein Leben halte. Und überhaupt: "Mein Name sei Gantenbein."

So ist das bei Max Frisch, dem großen Identitätssucher der Weltliteratur. Und von dort ist der Weg nicht weit zur Nürnberger Sozialdemokratie. Der soll hier bitte keine Identitätskrise unterstellt werden, auch wenn ein plötzlich abhanden gekommener OB und minus 17 Prozent bei der Europawahl schon Zweifel aufkommen lassen können: Was sollen wir? Wer sind wir? Und warum eigentlich?

Aber die Partei lebt das offenbar anders aus. Dieser Tage hat sie die Stadt mit Orientierung gebenden Plakaten ausstaffiert. Man sieht einen Bartträger mit Kappe, der von sich behauptet: Ich bin Thorsten Brehm. Ein Mann mit randloser Brille behauptet das auch. Eine Frau mit Halstuch und blond gelocktem Haar ebenso.

Nun ist es so: Thorsten Brehm ist OB-Kandidat der SPD und, wie ein hochrangiger Genosse etwas maliziös anmerkt, "im Karl-Bröger-Haus weltberühmt". Das ist das SPD-Quartier der Stadt. Ansonsten kommt der Mann noch relativ unbehelligt durch Nürnberg. Das soll sich ändern.

Und da wird sich die Partei schon was gedacht haben mit ihrer Kampagne. Alle aber, die nicht ganz mitkommen und bei Brehm nicht sofort ein klares Bild vor Augen haben, seien gewarnt, dass der weder Bart noch Randlosbrille trägt. Lockiges Haar auch nicht, eher im Gegenteil. Ob SPD-Kandidat inzwischen ein so furchtbares Schicksal ist, dass sich Wildfremde spontan solidarisieren müssen damit?

Egal. Es gibt auch hehre Ziele, die mitgeliefert werden bei der Kampagne: Ein super Radwegenetz soll es bald geben. Schöne Plätze in der Nachbarschaft. Und mehr Grün! Wobei sich manchem wohl nicht sofort erschließen dürfte, wer exakt die Mehrheitsfraktion (SPD) und deren Vizechef (Brehm) und Parteiboss (Brehm) bislang daran gehindert haben, genau dafür zu sorgen. OB Ulrich Maly etwa?

Der andererseits, öha, ist ebenfalls Thorsten Brehm. Jedenfalls laut Plakat. Verstehen Sie nicht? Macht nichts. Geht anderen auch so. Vielleicht einfach mehr Max Frisch lesen: "Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen."

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Quelle:
SZ vom 21.06.2019
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