Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bayern:Das Wahlgesetz und seine Tücken

In Triftern wird vorzeitig der Bürgermeister gewählt. Ein möglicher Kandidat ist aber schon zu alt - obwohl er im kommenden Jahr noch locker jung genug wäre

Kolumne von Johann Osel

Sie ist irgendwie eine magische Zahl, diese 66 - das Alter betreffend. Da hilft es kaum, wenn man auf den Udo-Jürgens-Gassenhauer verweist, wonach mit exakt so vielen Lenzen das Leben anfange und man erst da in Schuss komme: "Ich ziehe meinen Bauch ein und mach auf heißer Typ, ohho-ohho-ohho." Tatsächlich aber ist die Sechs, die dann schon eine Weile vorn dran steht, plötzlich ein wuchtiger Doppelpack. Der Mathematiker weiß zudem, dass die Zahl eindeutig aufgerundet wird, man also näher an der 70 ist. Das wäre zwar bei 65 auch schon der Fall, hier könnten pfiffige Geister aber Grundsatzdebatten anstoßen, ob das Aufrunden wirklich sein muss. Kurzum: 66 klingt nicht mehr ganz taufrisch. Insofern kann Hermann Ertl, Gemeinderat aus Anzenkirchen, Ortsteil des Marktes Triftern in Niederbayern, aufatmen, ist er doch erst 65 Jahre alt. Eben das wird ihm aber jetzt zum Verhängnis, politisch betrachtet. Und das ist ein Kuriosum.

Es geht in Triftern im Rottal - gut 5000 Einwohner auf einer Fläche so groß wie Passau - um die Bürgermeisterwahl. Vier Kandidaten wollen den bisherigen Rathauschef beerben. Der tritt früher ab, weswegen nicht (wie bayernweit) 2020 gewählt wird, sondern Ende Juli. Eigentlich wollte Ertl der fünfte Aspirant sein, wie die Passauer Neue Presse berichtet. Beobachter räumten ihm Chancen ein, da er unter anderem nach der Flutkatastrophe durch Tatkraft auffiel. Die Altersregeln aber verhindern es. Das Gesetz wurde zwar dahingehend geändert, dass 2020 bei der Wahl hauptamtlicher Bürgermeister jeder antreten kann, der zum Wahltag noch nicht 67 ist. Zuvor galt eine Grenze von 65. Für die vorgezogene Wahl gilt jedoch die alte Regel, das Landratsamt hat da sicherheitshalber im Innenministerium nachgefragt. Heißt: Kommendes Jahr dürfte Ertl als 66-Jähriger (Geburtstag im September) regulär kandidieren, jetzt als 65-Jähriger nicht. Regel bleibt Regel.

Ertls Ärger ist inzwischen abgeflaut, "komisch" sei das aber trotzdem. Seinen 65. Geburtstag hatte man übrigens üppig gefeiert, wie den Gemeindenachrichten zu entnehmen ist. "Praktisch den ganzen Tag über" reihte sich die Gratulantenschar in Anzenkirchen, Marktprominenz ohnehin, die Blaskapelle spielte auf. Da wusste man nicht, dass der halbrunde Geburtstag später seine Tücken haben wird.

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Quelle:
SZ vom 15.07.2019
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